Erich Lotterer, Wetzlar
Aszites
Chronische Lebererkrankungen sind häufig mit Störungen der Nierenfunktion assoziiert. Dabei kommt es zu Veränderungen der Herz-Kreislaufsituation, die dann zu einer neurohumoralen Dysregulation und letztendlich zur Beeinflussung der renalen Funktion führen. Die Kenntnis der zugrundeliegenden Pathophysiologie ist für die Therapie des Aszites bei Leberzirrhose hilfreich.
Durch die hyperdyname Kreislaufsituation mit peripherer arterieller Vasodilatation, die Verminderung des kolloidosmotischen und die Erhöhung des hydrostatischen Drucks im Splanchnikusgebiet kommt es zu einer Verschiebung der Starling’schen Kräfte im splanchnischen System mit Extravasation in die freie Bauchhöhle. Das zentrale effektive Blutvolumen im Bereich der Druck- und Volumenrezeptoren des zentralen Kreislaufs nimmt ab. Die Vasodilatation wird durch das Zusammenspiel verschiedener endogener vasodilatierender Substanzen (u.a. Stockoxid, NO; atriales natriuretisches Peptid, ANP; Substanz P; Endotheline) verursacht.
Im Rahmen einer neurohumoralen Gegenregulation steigen im Weiteren die Plasmakonzentrationen von Renin, Aldosteron, Noradrenalin und Vasopressin. Dies führt dann zu einer Vasokonstriktion des arteriellen Gefäßsystems der Nieren mit Retention von Elektrolyten und Wasser. Bei Fortschreiten dieses Circulus vitiosus und Zunahme der Lymphbildung unter dem Einfluss der portalen Hypertension wird die Kapazität des Ductus thoracicus überschritten und es kommt zum Auftreten von Aszites. Da es sich hierbei graduelle Veränderungen handelt, kann die zunehmende renale Vasokonstriktion über eine diskrete Retention harnpflichtiger Substanzen bis hin zum irreversiblen hepatorenalen Syndrom führen.
Evaluation und Diagnose
Differentialdiagnose des Aszites
- Leberzirrhose (unabhängig der Ätiologie)
- alkoholische Hepatitis
- Herzversagen
- Malignom (Peritonealkarzinose, Lebermetastasen)
- „gemischter“ Aszites, d.h. Leberzirrhose plus eine andere Ursache
- Pankreatitis
- nephrotisches Syndrom
- tuberkulöse Peritonitis
- akutes Leberversagen
- Budd-Chiari-Syndrom
- sinusoidale Obstruktionssyndrome
- postoperative Lymphleckage
- Myxödem
- etc.
Tabelle 1
Ca. 85 % der Patienten mit Aszites haben als Ursache eine Leberzirrhose, während in ca. 15 % der Fälle eine nicht-hepatische Ursache für die Flüssigkeitsretention verantwortlich ist (Tabelle. 1). Ein plötzlich zunehmender Aszites bei Leberzirrhose sollte immer an eine Infektion, das Auftreten eines hepatozellulären Karzinoms bzw. an eine Portalvenen- oder Lebervenenthrombose denken lassen. Somit ist die exakte Diagnose des Aszites die Grundlage für seine erfolgreiche Therapie.
Neben einer detaillierten klinischen
Untersuchung zum Nachweis auch kleinerer Mengen Aszites werden heute vor allem
bildgebende Verfahren (Sonographie, Computertomographie, MRT) zur
Diagnosestellung eingesetzt. Die auch ambulant durchführbare Punktion
(Parazentese) mit anschließender Untersuchung der Aszitesflüssigkeit ist
wahrscheinlich die schnellste und kosteneffektivste Methode zur Klärung der
Ursache eines neu aufgetretenen bzw. klinisch zunehmenden Aszites. Die
Komplikationsrate ist sehr gering, obwohl ca. 75 % der Patienten
einen erniedrigten Quickwert aufweisen. In einer Studie mit 4729 Parazentesen
traten 8 von 9 Blutungskomplikationen bei Patienten mit gleichzeitigem
Nierenversagen auf. Eventuell scheint hierbei die Blutung durch eine
qualitative Thrombozytenfunktionsstörung prädisponiert zu sein. Die
routinemäßige Bestimmung der Gerinnungsparameter und/oder auch die routinemäßige Gabe von
Blutprodukten (Frisch-plasma, FFP;
Thrombozytenkonzentrat) vor der Punktion ist durch Studien nicht belegt und
wird nicht empfohlen.
Diagnostik (Laborchemie) der Aszitesflüssigkeit | |||
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routinemäßig | optional | selten | nicht hilfreich |
Zellzahl mit differenzierung | Kultur (in Blutkulturflaschen) | säurefeste Bakterien (mit Kultur) | pH-Wert |
Albumin | LDH | Zytologie | Laktat |
Gesamtprotein | Amylase | Triglyzeride | Cholesterin |
Gramfärbung | Bilirubin | Fibronectin |
Tabelle 2
In Tabelle 2 ist ein möglicher Algorithmus für die Untersuchung der Aszitesflüssigkeit zusammengefasst. Bei unkompliziertem Aszites auf dem Boden einer Leberzirrhose ist eine Screeningunter-suchung (d.h. Zellzahl mit Differenzierung, Albumin, Gesamtprotein) ausreichend. Ein Serum-Aszites-Albumingradient (Subtraktion des Albuminwerts im Aszites vom Serum-Albuminwert) ≥ 1,1 g/dL (11 g/L) weist mit einer Genauigkeit von 97 % auf das Vorliegen einer portalen Hypertension . Die routinemäßige Bestimmung des Tumormarkers CA125 im Serum ist nicht hilfreich und wird nicht empfohlen.
Definitionsgemäß werden folgende Aszitesformen unterschieden:
Der unkomplizierte Aszites lässt sich durch Aldosteron-Antagonisten und ggfs. die zusätzliche Gabe eines Schleifendiuretikums bei ca. 85% der Patienten gut behandeln und beherrschen.
Der diuretika-refraktäre Aszites spricht auf die diuretische Therapie nicht bzw. unzureichend an.
Beim diuretika-intraktablen Aszites kann aufgrund von Nebenwirkungen (Enzephalopathie, Elektrolytstörungen, Verschlechterung der Nierenfunktion) die Diuretikatherapie nicht gesteigert beziehungsweise fortgesetzt werden.
Unter einem rezidivierenden Aszites wird das häufige Wiederauftreten (mindestens drei Mal innerhalb eines Jahres) von deutlichem Aszites trotz diuretischer Behandlung verstanden.
Therapie
Durch eine Änderung der Körperhaltung kommt es zur Verschiebung des zentralen effektiven Blutvolumens und zur Stimulation der Druck- und Volumen-rezeptoren. Allerdings gelingt es nur bei sehr wenigen Patienten, durch Bettruhe allein den vorhandenen Aszites zu mo-bilisieren.
Die Hauptsäulen der Aszitestherapie beruhen auf einer Einschränkung der diätetischen Kochsalzzufuhr (ca. 3 - 5 g/Tag) und der morgendlichen oralen Gabe von Aldosteron-Antagonisten (Spironolacton, Epleneron) ± Schleifendiuretika (Torasemid, Furosemid). In Abhängigkeit der Mobilisation der Aszitesflüssigkeit (Ziel bei Patienten ohne Ödeme: Gewichtsabnahme von 500 - 700 g pro Tag) und der Serum-Natrium- und Kaliumkonzentrationen kann die Dosierung gesteigert werden (Spironolacton 100 mg -> max. 400 mg, Epleneron 25 mg -> max. 50 mg, Furosemid 40 mg -> max. 160 mg, Torasemid 10 mg -> max. 40 mg pro Tag). Durch diese Kombinationstherapie kann der Aszites bei ca. 85 – 90 % der Patienten beherrscht werden.
Eine sorgfältige Überwachung der Patienten ist aufgrund der Nebenwirkungen (Verschlechterung der Nierenfunktion, Elektrolytstörungen, Enzephalopathie) von besonderer Bedeutung. Zur Überprüfung der Therapie ist die 24-Stunden-Urinsammlung zur Bestimmung der Natrium-Ausscheidung hilfreich.
Beim Vergleich sofortige Kombinationstherapie Spironolacton plus Furosemid versus sequentielle Therapie (zuerst Spironolacton und bei unzureichender Aszitesmobilisation Zugabe von Furosemid) zeigte sich eine ähnliche Wirksamkeit beider Strategien. Jedoch mussten in der Gruppe mit der sofortigen Kombinationstherapie signifikant häufiger Dosisreduktionen wegen zu starker Wirksamkeit (Nebenwirkungen) vorgenommen werden 10. Im Gegensatz dazu scheint bei Patienten mit moderatem Aszites ohne Nierenversagen die sofortige Kombina-tion Kalium-Canreonat (200 mg -> 400 mg) plus Furosemid (50 mg -> 150 mg) effektiver und vor allem nebenwirkungsärmer zu sein, als die sequentielle Gabe dieser beiden Substanzen. Es spricht daher aktuell vieles für die sofortige, allerdings vorsichtig dosierte Kombinationstherapie.
Eine zusätzliche Flüssigkeitsrestriktion ist erst bei einem Serum-Natrium < 120 - 125 mmol/L sinnvoll und erforderlich.
Aufgrund der Daten einer aktuellen Studie scheint bei Patienten mit Zirrhose und therapierefraktärem Aszites die Gabe von nichtselektiven ß-Blockern zur Blutungsprophylaxe kontraindiziert. So betrug das mediane Überleben der Patienten ohne ß-Blocker 20 Monate, das der Patienten mit ß-Blockern nur 5 Monate (p<0,0001). Das 1-Jahresüberleben mit ß-Blockern lag bei 19 %, das ohne ß-Blocker bei 64 % (p<0,0001). Die unabhängig mit der Mortalität assoziierten Variablen waren: Child-Klassifikation C, Hyponatriämie, Nierenversagen sowie die Behandlung mit ß-Blockern.
Bei massivem Aszites führt eine therapeutische Parazentese schneller zur Aszitesfreiheit als die diuretische Behandlung. Einzelne Punktionsmengen bis 5 l können ohne Substitution von Plasmaexpandern durchgeführt werden. Bei großvolumigen Parazentesen ist heute die Substitution von 6 - 8 g Natrium-armem Humanalbumin pro Liter abgelassenem Aszites Standard. Dadurch werden die hämodynamischen Nebenwirkungen eines Parazentese-bedingten Volumenmangels mit weiterer Verschlechterung der Nierenfunktion signifikant reduziert. Die Substitution mit 20 %igem Human-albumin ist signifikant effektiver als die Gabe des wesentlich preiswerteren Dextran 70 oder der 3,5%igen Hydroxyethylstärke. Auch weist eine totale Parazentese (= einzeitiges Ablassen der gesamten Aszitesflüssigkeit) mit Albuminsubstitution keine erhöhte Rate an Nebenwirkungen im Vergleich zur wiederholten Parazentese kleinerer Mengen auf.
Refraktärer Aszites wird definiert als eine intraabdominelle Flüssigkeitsansammlung, welche auch durch hohe Dosen an Diuretika nicht zu mobilisieren ist, oder die nach therapeutischer Parazentese sehr schnell wieder auftritt. Neben der medikamentösen Standardtherapie bestehen hier prinzipiell folgende Therapieoptionen: 1. wiederholte therapeutische Parazentese, 2. Lebertransplantation, 3. transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS), 4. peritoneovenöser Shunt, 5. experimentelle medikamentöse Therapie.
Die Natriumkonzentrationen in Aszites und Serum sind ähnlich: 130 mmol/L, d.h. 1 Liter Aszites mobilisiert 130 mmol/L Natrium. Bei einer empfohlenen, jedoch schwierig einzuhaltenden Natriumrestriktion von 2 g/Tag (= 88 mmol/Tag) und einer nicht-renalen Natriumausscheidung von ca. 10 mmol/Tag bedeutet dies für Patienten mit Zirrhose und stark eingeschränkter oder gar fehlender renaler Natriumausscheidung eine positive Netto-Natriumbilanz von 78 mmol/Tag. Somit ist bei diesen Patienten zum Ausgleich der Natriumretention eine 6-Liter-Parazentese alle 10 Tage (78 mmol/Tag oder 780 mmol) beziehungsweise eine 10-Liter-Parazentese alle 17 Tage (1300 mmol) erforderlich. Patienten, die noch eine renale Natriumausscheidung aufweisen, benötigen die Parazentesen zum Aufrechterhalten der Natriumbilanz entsprechend seltener.
Da jeder fünfte Patient mit refraktärem Aszites und fehlendem Ansprechen auf Diuretika innerhalb von 6 Monaten verstirbt, ist die rechtzeitige Indikationsstellung zur Lebertransplantation essentiell. Der Erfolg der Lebertransplan-tation ist bei Patienten mit massivem Aszites auch nicht schlechter als bei Patienten ohne oder nur gering ausgeprägtem Aszites.
In vier großen
randomisierten Studien wurde die TIPS-Anlage mit der wiederholten großvolumigen
Parazentese verglichen (Tab. 3). Nach TIPS kam es zu einer langanhaltenden und
signifikanten Verbesserung der Aszitessituation, aber auch zu einer Zunahme der
Enzephalopathierate (HE). Das Überleben der Patienten wurde durch den TIPS
nicht durchgängig verbessert. Dabei muss
allerdings auch die Compliance der
Patienten hinsichtlich der begleitenden Diuretikatherapie und die Medikation
zur HE-Prophylaxe berücksichtigt werden. Der TIPS kann als überbrückende
Maßnahme bis zur Lebertransplantation dienen. Die aktuellste Metaanalyse zu
diesem Thema, basierend auf den Originaldaten, zeigt eine signifikante
Verlängerung des Transplantations-freien Überlebens der Patienten nach
TIPSImplantation und eine ähnliche kumu-lative Rate für die Entwicklung
einer ersten HE-Episode. Daten zu diesem
Thema für die PTFE-ummantelten Stents liegen derzeit nicht vor. Nach TIPS kommt
es zu einer Verbesserung der Nierenfunktion mit einem Anstieg der
Urin-Natriumexkretion, des Urinvolumens und einer Verbesserung des
Serum-Kreatinins. Zusätzlich verbessern sich die hormonellen Parameter (z.B.
Plasma-Reninaktivität, Aldosteron- und Noradrenalinkonzentration im Serum) auch
im Langzeitverlauf.
TIPS versus großvolumige Parazentesen (Ergebnisse kontrollierter randomisierter Studien) | ||||
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Autor | n | Aszites-kontrolle | Überleben | Enzephalopathie |
Rössle (2000) | 60 | 61 % vs. 18 %(p=0,006) | 69 % vs. 52 % (p=0,11) | 58 % vs. 48 % (n.s.) |
Ginès (2002) | 70 | 51 % vs. 17 % (p=0,003) | 41 % vs. 35 % (n.s.) | alle: 77 % vs. 66 % (p=0,29) schwer: 60 % vs. 34 % (p=0,03) |
Sanyal (2003 | 109 | 58 % vs. 16 % (p<0,001) | 40 % vs. 37 % (n.s.) | 38 % vs. 12 % (p=0,058) |
Salerno (2004) | 66 | 79 % vs. 42 % (p=0,0012) | 77 % vs. 52 % (p=0,021) | schwer: p=0,039 |
Tabelle 3
Die Anlage eines peritoneovenösen Shunts wird heute nur noch sehr selten durchgeführt und bleibt wohl auf Patienten mit Diuretika-resistentem, refraktärem Aszites beschränkt, die keine Kandidaten für wiederholte Parazentesen, eine TIPS-Implantation und/oder eine Lebertransplantation sind.