DAA-Therapie in Deutschland
Mehr Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften!
In
Europa und den USA wird die Hepatitis- C-Therapie priorisiert. Die
deutschen Leitlinien tun das nicht. Warum?
Interviev mit Prof. Michael Manns, Medizinische Hochschule Hannover
Prof. Manns: Die Leitlinie ist Ausdruck des aktuellen medizinischen Wissens und empfiehlt die zum Zeitpunkt der Erstellung optimale Behandlung. Jede Hepatitis C kann gravierende Folgeerkrankungen nach sich ziehen und eine Indikation zur Behandlung sollte daher prinzipiell bei jedem Patienten erwogen werden. Zudem kann man auf diese Weise potentielle weitere Infektionen verhindern. Theoretisch könnte man sogar die Hepatitis C eliminieren. Das ist die medizinisch-wissenschaftliche Sichtweise. Dem gegenüber stehen ökonomische Aspekte. Die Hepatitis-C-Medikamente sind zumindest noch sehr teuer und im klinischen Alltag findet deshalb eine Priorisierung statt. Wir behandeln derzeit in der Regel keine Patienten ohne Fibrose oder mit normalen Transaminasen, wenn keine zusätzliche Indikation zur Therapie besteht.
In Deutschland beurteilt der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA den Zusatznutzen eines Medikamentes. Die Einschätzung der Fachgesellschaften zum Zusatznutzen und dem G-BA-Beschluss weichen teilweise deutlich voneinander ab. Woran liegt das?
Prof. Manns: Der G-BA-Beschluss beruht auf der Begutachtung durch das IQWIG, das eine besondere Methodik anwendet. Es verlangt u.a., dass es einen direkten Vergleich mit der Standardtherapie gibt, der einen quantifizierbaren, Patienten-relevaten Zusatznutzen des neuen Medikaments belegt. Für die neuen Hepatitis-C-Therapien gab es bisher z. T. keine solchen direkte Vergleichsstudien, sondern nur historische Vergleichskollektive. Dies haben IQWIG und der G-BA kritisiert. Ein Zusatznutzen wurde aufgrund fehlender Daten daher nicht anerkannt.
Nun gibt es ja mit den MALACHIT-Studien einen direkten Vergleich ...
Prof. Manns: Grundsätzlich sind die Fachgesellschaften der Meinung, dass der Vergleich der Studien zu den neuen Hepatitis-C-Medikamenten, den sog. DAAs, mit historischen Kollektiven ausreicht, um den Zusatznutzen der neuen Medikamente zu erkennen, da die neuen Therapien nicht nur wirksamer, sondern auch wesentlich kürzer sind und weniger Nebenwirkungen haben. Da das IQWIG auf direkten Vergleichsstudien besteht, dürften die MALACHIT-Studien für die betroffenen HCV-Therapien für den AMNOG-Prozess von Vorteil sein. Wissenschaftlich unerwartete Erkenntnisse haben sie dabei nicht erbracht.
Wie beurteilen Sie die Einführung der DAA-Therapie in Deutschland?
Prof. Manns: Wir haben im letzten Jahr eine besondere Entwicklung gehabt. Es wurden sieben verschiedene direkt antivirale HCV-Medikamente zugelassen, in kurzer Zeit und teilweise auf der Basis von begrenzten Studien. Das ist im gegebenen Fall begrüßenswert. Die DGVS hat diesen Prozess mit der Aktualisierung ihrer Empfehlungen begleitet. Der AMNOG-Prozess dient aber auch der Preisverhandlung zwischen Hersteller und Krankenkassen. Das ist im Interesse der Gesellschaft und ebenfalls sinnvoll.
Welche Bedeutung hatten die Fachgesellschaften?
Prof.
Manns: Die
Fachgellschaften und zwar im Falle der HCV-DAA-Therapien die Deutsche
Gesellschaft für Ver-
dauungs-
und Stoffwechselstörungen (DGVS) und
die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) haben zu jedem
neuen DAA Stellungnahmen abgegeben und waren bei den Anhörungen
vertreten. Leider wurden unsere Argumente nicht immer berücksichtigt.
Es wurden Bewertungen erstellt, von denen manche medizinisch nicht
nachvollziehbar waren. Auf der anderen Seite ist der AMNOG-Prozess
ein politisches Instrument zur Preisgestaltung. Dies sollte jedoch
nicht dazu führen, dass einige gute Therapieoptionen wie
beispielsweise beim GT3 keinen Zusatznutzen erhalten und und aufgrund
dessen nicht mehr eingesetzt werden. Hier sollten G-BA, Krankenkassen
und Firmen enger mit den Fachgesellschaften zusammen arbeiten, um
eine für Ärzte und Patienten optimalere Situation zu schaffen und
klarere Aussagen zur Erstattungsfähigkeit zu machen.
Frühzeitig behandeln ist richtig!
Interviev mit Ingo van Thiel, Deutsche Leberhilfe
In Europa und den USA wird die Hepatitis-C-Therapie priorisiert. Grund dafür sind die hohen Kosten der Behandlung. Die deutschen Leitlinien priorisieren diese nicht. Hat das deutsche Gesundheitssystem so viel Geld, dass jeder gleich behandelt werden kann?
van Thiel: Die Deutsche Leberhilfe e.V. ist an den Leitlinien beteiligt und wir begrüßen sehr, dass dort solche Einschränkungen nicht gemacht werden. In anderen Ländern werden zunächst Patienten behandelt, die schon schwer krank und damit unmittelbarer vom Tode bedroht sind als andere. Die Kehrseite dieser „Priorsierung“ ist aber, dass anderen, noch nicht ganz so kranken Patienten oft die Therapie verweigert wird. Es wird diesen Patienten zum Teil wörtlich gesagt: „Kommen Sie wieder, wenn Sie eine fortgeschrittene Fibrose oder Zirrhose haben.“ Das ist sehr kurzsichtig und hat für viele Patienten schlimme Folgen. Wer schon eine Zirrhose hat, behält ein Leberkrebsrisiko zurück, selbst wenn das Hepatitis-C-Virus eliminiert ist. Viele dieser Krebsfälle lassen sich vermeiden, wenn man Hepatitis C deutlich früher heilt. Deshalb ist die Gleichbehandlung aus unserer Sicht der einzig richtige Weg. Im Alltag ist dies aber nicht immer gegeben. Versicherungen verweigern immer wieder in einzelnen Fällen die Erstattung oder drohen Ärzten mit Regressen, worauf diese vor einer Verschreibung zurückschrecken. Die Situation hat sich zwar etwas entspannt, seitdem die Arzneimittelpreise etwas gesunken sind. Aber wir bekommen leider immer noch Anrufe von Patienten, die über Verschreibungsprobleme berichten.
Die Interferon-freie Therapie wird häufig als großer Durchbruch gefeiert. Hohe Heilungsraten, nahezu keine Nebenwirkungen. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die G-BA-Beschlüsse zum meist fehlenden Zusatznutzen der neuen DAA?
van Thiel: Hier hat sich der G-BA deutlich bewegt. Bisher wurde verlangt, dass die neuen Interferon-freien Therapien in Studien mit Interferon verglichen werden. Fehlte eine solche Vergleichsgruppe, wurde den neuen Therapien aus formalen Gründen mitunter „kein Zusatznutzen“ bescheinigt, egal wie verträglich oder wirksam sie waren. Diese Art der Bewertung war nicht hilfreich und ging oft an der Realität der Patienten vorbei: Denn kaum ein Patient würde heute noch freiwillig Interferon nehmen, wenn er besser verträgliche und wirksamere Medikamente bekommen kann. Zum Glück beginnt dies inzwischen auch der G-BA so zu sehen. Jüngst wurde bei der Nutzenbewertung von Ledipasvir und Sofosbuvir auch der Vergleich mit historischen Interferon-Studien anerkannt. Dabei besteht grundsätzlich eine methodische Ergebnisunsicherheit, und diese wirkt sich auf die „Wahrscheinlichkeit des Zusatznutzens“ aus. Aus diesem Grund hat der G-BA nur einen „Anhaltspunkt für den Zusatznutzen“ abgeleitet. Für die größte Patientengruppe hat der G-BA aber insbesondere aufgrund der Ergebnisse zur Mortalität, Morbidität und der Nebenwirkungen einen „beträchtlichen Zusatznutzen“ festgestellt.
Das IQWIG bemängelt stets das Fehlen eines direkten Vergleichs, d.h. das Fehlen einer Studie, in der die Interferon-basierte Tripletherapie mit dem zu bewertenden Arzneimittel/Regime verglichen wird. Nun liegen die Studien MALACHIT-1 und -2 vor. Hätten Sie deutschen Patienten geraten, daran teilzunehmen?
van
Thiel: Solche
Studien werfen in der Tat ethische Fragen auf. Allein für
Vergleichszwecke wird darin ein großer Teil der Patienten noch mit
alten, nebenwirkungsreichen und weniger wirksamen Medikamenten
behandelt, während die andere Hälfte der Patienten schon die neuen,
besseren Substanzen erhält. Hierzulande wird sich wohl kaum ein gut
informiert Patient finden, der sich noch
darauf einlässt. Und
auch Ethikkommissionen würden wahrscheinlich Bedenken anmelden.
Gleichzeitig fordern viele Gesundheitssysteme in Industriestaaten –
bis vor kurzem auch noch Deutschland – genau solche Studien ein. Da
stellt sich schon die Frage, ob Menschen in ärmeren Ländern dies
ausbaden müssen. Wenn ich allerdings mit einigen Kollegen von
osteuropäischen Patientenorganisationen darüber spreche, teilen
diese unsere Empörung durch die deutsche Brille nicht immer. Die
Reaktion ist oft eher ein Achselzucken oder ein bitteres Lachen –
gefolgt von dem Spruch, dass sie froh wären, wenn in ihrer Heimat
wenigstens die alten Tripletherapien verfügbar würden. Das liegt
natürlich an den hohen Preisen der neuen Interferon-freien Therapien
– in vielen Gesundheitssystemen ist schlicht und ergreifend kein
Geld dafür da.
Betrachtet man die Entwicklung seit der Zulassung von Sofosbuvir – was hätte man besser machen können?
van Thiel: Das Hauptproblem sind aus unserer Sicht die hohen Einstiegspreise der neuen Arzneimittel, welche von den Herstellerfirmen in Deutschland im ers-ten Jahr festgesetzt werden. Dies sollten die Herstellerfirmen insbesondere bei der Markteinführung weiterer, künftiger Substanzen berücksichtigen und deutlich niedrigere Einstiegspreise verlangen.
Die Preise sind überzogen!
Interviev mit Dr. Gerd Klausen, Infektiologe, Berlin
Sie haben in einer öffentlichen Stellungnahme die Preise für die neuen DAA als „unverhältnismäßig“ bezeichnet. Warum?
Dr. Klausen: Wir halten die Preise für die direkt antiviralen Medikamente gegen Hepatitis C für überzogen. Die Preiskalkulation der Industrie, die auf den Preisen der alten Therapie beruht, berücksichtigt nicht, dass aufgrund der besseren Verträglichkeit und geringeren Einschränkungen damit deutlich mehr Patienten behandelt werden. Das Unternehmen Gilead hat bereits heute die Entwicklungskosten für Sofosbuvir (Sovaldi) refinanziert!
Welche negativen Folgen haben denn die hohen Kosten?
Dr. Klausen: Wir wissen in etwa, wie viele Hepatitis-C-Betroffene es in Deutschland gibt und wir möchten alle Patienten behandeln. Das ist aber nicht möglich, denn die hohen Preise, d.h. das Gewinnstreben der Industrie, würden das deutsche Gesundheitsbudget sprengen. Auch für den Arzt in der Praxis haben die hohen Preise Konsequenzen, ein Regress ist Existenz-bedrohend.
Haben Sie Angst vor einem Regress?
Dr. Klausen: Regress ist ein Thema bei Ärzten, die Hepatitis C behandeln, und ich weiß, dass es bereits zu Regressen gekommen ist. Aber es ist nicht die Regress-Sorge, die der Anlass für die öffentliche Stellungnahme war. Es war vielmehr die Sorge, dass in Deutschland aufgrund der überzogenen Preise erstmals Arzneimittel rationiert werden.
In den meisten Ländern, z.B. USA, Österreich, Schweiz usw., wird die Hepatitis-C- Therapie aufgrund der Kosten rationiert bzw. priorisiert. Ist das schlecht?
Dr Klausen: Das ist kein gutes Konzept. Die Hepatitis C ist eine chronische Erkrankung, die progredient verläuft und die Betroffenen haben Beschwerden. Diese Erkrankung kann man jetzt einfach und verträglich und schnell heilen. Das hilft nicht nur dem Patienten, sondern auch der Gesellschaft, denn weitere Infektionen werden vermieden. Sollte man Patienten aus Kostengründen die Therapie verweigern? Oder sollte man von der Industrie fordern, die Preise zu senken? Wir halten die letztere Variante für richtig!
Das AMNOG ist angetreten, innovative Medikamente sozialverträglich bezahlbar zu machen. Ist das nicht genug?
Dr. Klausen: Bereits bei Sofosbuvir hat sich gezeigt, dass das AMNOG nicht funktioniert. Der ausgehandelte Preis lag gerade mal 15 % unter dem Einführungspreis. Die wirkliche Preisgestaltung läuft offenbar hinter den Kulissen über Rabattverträge der Firmen mit den Krankenkassen. Vielleicht gab es die offizielle Zustimmung der Krankenkassen zu dem hohen Preis sogar nur unter dem Vorbehalt von Rabattverträgen. Ich sehe das jedenfalls als politische Bankrott-Erklärung des AMNOG.
Was sind denn Ihre Vorstellung vom Preis? Oder haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Dr. Klausen: Ich habe weder Preisvorstellungen noch Verbesserungsvorschläge. Das ist auch nicht meine Aufgabe, ich bin Arzt. Das ist die Aufgabe der Politiker.
Wie viele Ärzte haben denn die Stellungnahme unterschieben? Wie kann man sich beteiligen?
Dr. Klausen: Die Resonanz hat mich überrascht und erfreut. Bis jetzt haben schon 140 Ärzte unsere Forderungen unterschrieben. Die Namen kann an bei www.aerztederwelt.org sehen und man kann auch elektronisch unterschreiben, indem man eine E-Mail schreibt an: hcv_stellungnahme@yahoo.de.
HCV-Therapie – Strategien gegen den Regress
Interviev mit Dr. Dietrich Hüppe, Gastroenterologe, Herne
Mittlerweile stehen nun mehrere Interferon-freie HCV-Regime zur Auswahl. Das ist erfreulich für die Patienten. Bei den Ärzten dagegen grassiert die Regress-Angst …
Dr. Hüppe: Da muss ich widersprechen, die Regressangst ist vielleicht nicht ganz weg, aber sie hat deutlich nachgelassen. Die Kassen haben ein Sonderausgabenvolumen von 1,7 Milliarden Euro für die Hepatitis C-Behandlung zur Verfügung gestellt und in einigen Regionen gibt es bereits selektive Hepatitis C-Verträge. Beides schützt nicht 100% gegen Regress. Dennoch hat dies viele Behandler sicherer gemacht und viel mehr Patienten werden jetzt behandelt.
Wie gehen Sie vor? Behandeln Sie jetzt jeden Patienten?
Dr. Hüppe: Ich bespreche mit meinen Patienten zunächst die Dringlichkeit der Therapie. Beschwerdefreie Patienten ohne Fibrose können warten. Doch Patienten, die nicht warten wollen, behandle ich gleich. Bei älteren Menschen mache ich da keine Ausnahme. Auch einen 79-jährigen, dessen Lebenqualität eingeschränkt ist, behandle ich.
Für fast jedes Szenario steht ja nun nicht nur eines, sondern mehrere Regime zur Verfügung. Wie wählt man aus?
Dr. Hüppe: Wenn beide Regime für die Indikation zugelassen und vergleichbar effektiv sind und auch beide in den Leitlinien aufgeführt sind, kann man sich beispielsweise am Nebenwirkungs- und Interaktionsprofil orientieren. Für manche Patienten kommt Ribavirin nicht in Frage, bei anderen verbieten potentielle Interaktionen ein Regime. Wenn nun beide Regime gleichwertig sind, spielen wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle, d.h. das günstigere Regime sollte bevorzugt werden.
Die Preise für die Medikamente sind nun aber stetig im Wandel. Es gibt Preissenkungen und Rabattverträge ...
Dr. Hüppe: Das ist richtig und das sollte man bei seinen Überlegungen auch berücksichtigen. Ich habe mir eine Tabelle gemacht mit den Preisen, die ich dann dem aktutellen Stand anpasse. Dadurch behalte ich den Überblick.
Die Kassen können doch nicht von den Ärzten verlangen, dass man täglich Medikamentenpreise überprüft und berechnet. Zudem gibt es Rabattverträge mit einigen Kassen. In diesem Fall ist der Preis unbekannt und ein Preisvergleich überhaupt nicht möglich.
Dr. Hüppe: Das sehe ich auch so und der BNG hat bereits 2014 an die Krankenkassen geschrieben und auf die Probleme hingewiesen. Nun ist es dem BNG unter Einbindung der dagnä gelungen, Versorgungsverträge mit einzelnen AOKs unter Einbindung der KVven abzuschließen. Diese Verträge sichern Regressfreiheit, wenn man sich an die Leitlinien und G-BA-Entscheidungen hält.
Wie steht es mit dem G-BA-Beschluss zu Simeprevir? Dieser sagt nichts zur Interferon-freien Behandlung mit Simeprevir/Sofosbuvir?
Dr. Hüppe: Der G-BA hat sich dazu bisher leider nicht geäußert. Das heißt nicht, dass man dieses Regime nicht verordnen kann. Man muss sich hier allerdings genau an den Zulassungstext halten, d.h. u.a. muss eine Interferon-Unverträglichkeit vorliegen, und die Wirtschaftlichkeit berücksichtigen. Zudem hat die GKV das Sonderaus-gabenvolumen explizit für die neuen Hepatitis-C-Medikamente und damit die Interferon-freie Therapie zur Verfügung gestellt.
Vielen Dank für die Gespräche.