Interview mit Ingo van Thiel, Deutsche Leberhilfe - Neue Hepatitis C-Therapie – Das Interferonfreie Zeitalter kommt!
Seit Anfang des Jahres ist die Interferonfreie Therapie, jetzt auch die Interferon- und Ribavirin-freie Therapie Wirklichkeit. Wie gut sind die Patienten hier informiert?
Van Thiel: Hier gibt es große Unterschiede. Einige Patienten sind ausgesprochen gut informiert. Sie wissen schon jetzt genau, welches Regime sie haben wollen. Andere haben erst durch unsere Aktivitäten von den neuen therapeutischen Möglichkeiten gehört.
Wie ist die Reaktion der Patienten?
Van Thiel: Die Spannbreite reicht von übertriebener Erwartung bis zu großer Skepsis. Es gibt Patienten, die glauben, sie könnten jetzt schon mit einer einzigen Pille geheilt werden. Es gibt aber auch Patienten, die schon mehrere Interferon-Therapien durchlitten haben und sich nicht vorstellen können, dass es auch mit viel weniger Nebenwirkungen geht.
Gab es denn viele Anfragen bei Ihnen?
Van Thiel: Gleich nach der Zulassung von Sofosbuvir gab es einen deutlichen Anstieg der Nachfragen. Der Beratungsbedarf war enorm hoch, denn viele haben geglaubt, dass man das Virus allein mit Sofosbuvir „weg bekommt“. Zu erklären, dass Regime und Therapiedauer von Genotyp und Krankengeschichte abhängen, ist sehr aufwändig.
Auf welchem Weg kommen die Anfragen?
Van Thiel: Die meisten Patienten rufen unser Beratungstelefon an, viele kontaktieren uns aber auch per Mail. Wir bekommen auch einige Anfragen aus dem Ausland. Selbst in Europa sind Sofosbuvir und das kürzlich zugelassene Simeprevir noch nicht überall erhältlich, weil diese Substanzen sehr teuer sind.
Wie ist die Situation in Deutschland? Hier ist Sofosbuvir ja erhältlich. Wird noch auf weitere Optionen gewartet, die ja im Lauf des Jahres/Anfang 2015 noch kommen?
Van Thiel: Selbst Fachärzte gehen sehr unterschiedlich damit um. Einige scheinen schon viele Patienten zu behandeln, während andere sich ganz streng an den Zulassungstext halten, aus Sorge vor Regressen. Allgemeinärzte sind hier noch viel zurückhaltender. Ich rechne damit, dass die Zahl der behandelten Patienten im Lauf der kommenden zwölf Monate stetig zunimmt.
Spielt der Preis in Deutschland eine Rolle?
Van Thiel: Sicherlich, aber auf andere Art als in anderen Ländern. In vielen Ländern werden teure Medikamente oft gar nicht eingeführt oder erst mit jahrelanger Verzögerung. In Deutschland sind zugelassene Medikamente erst einmal erstattungsfähig, dann erst erfolgt die Preisdiskussion. Angesichts der Preise der neuen Medikamente regt sich bereits Widerstand bei einigen Krankenkassen.
Nicht vernachlässigen sollte man auch den psychologischen Einfluss des Preises auf das Verordnungsverhalten. Die Angst vor einem Regress ist erheblich.
Viele Länder können sich die direkt antivirale Therapie zu diesem Preis nicht leisten. Gibt es hier Aktivitäten von Seiten der Leberhilfe?
Van Thiel: Die „Deutsche Leberhilfe“ ist auch Mitglied in der europäischen Patientenorganisation ELPA, die für einen paneuropäischen Zugang zur Therapie kämpft. Die ELPA beobachtet dabei auch die globale Entwicklung mit großem Interesse: So hat das Unternehmen Gilead Sciences mit Generikaherstellern in Ägypten, Indien und bis zu 60 anderen Ländern verhandelt, dass diese im Rahmen seines Global Access Programmes Sofosbuvir billiger zur Verfügung stellen können. Dies ist sehr erfreulich. Wir bedauern aber, dass dieses Programm Osteuropa nicht miteinbezieht!
In Ägypten ist die Therapie also billiger?
Van Thiel: In Ägypten könnte eine 12-wöchige Behandlung mit Sofosbuvir für nur 900.- US-Dollar verfügbar werden. Aber es macht keinen Sinn, jetzt einen Ägyptenurlaub mit einem Einkauf von Sofosbuvir verbinden zu wollen. Das Medikament wird nur in staatlichen Kliniken streng kontrolliert an ägyptische Staatsbürger abgegeben,um Therapietourismus zu vermeiden.
Wir hoffen, dass auch andere Hersteller über Möglichkeiten nachdenken, ihre HCV-Substanzen in Entwicklungsländern möglichst preisgünstig verfügbar zu machen. Natürlich entsteht dadurch ein starkes Preisgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Natürlich ist auch nicht auszuschließen, dass dadurch ein globaler Schwarzmarkt mit reimportierten Substanzen entsteht, die echt, aber auch gefälscht sein können. Diese Sorge darf aber kein Grund sein, Hepatitis-C-Patienten in ärmeren Ländern diese Chance auf eine Therapie vorzuenthalten.
Allerdings könnte einiges an Druck aus dem Kessel genommen werden, wenn die Preise der neuen Arzneimittel auch in Deutschland und Europa möglichst bald gesenkt werden. Vor allem in süd- und osteuropäischen Ländern würden damit auch die Chancen steigen, dass Betroffene auch dort Zugang zu den verbesserten Therapien bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Ende der Hepatitis C in Europa – Traum oder Wirklichkeit?
Im Rahmen des Internationalen Leberkongresses in London fand am 12. April ein Symposium der ELPA statt, in dem die Möglichkeit der Eradikation der Hepatitis C in Europa diskutiert wurde. In Europa sind rund 70 Millionen Menschen HCV infiziert und 57.000 starben an den Folgen der Erkrankung. Prof. Thomas Berg, Leipzig, betonte daher die Notwendigkeit einer zügigen Bekämpfung der Hepatitis-C-Epidemie. „Wenn man alle Hepatitis-C-Infizierten behandeln würde, könnten bei einer SVR-Rate von 80 % das Leberversagen um 79 % und hepatozelluläre Karzinome um 60 % vermindert werden“, erklärte Berg. Doch nicht alle Betroffenen wissen um ihre Infektion und nicht alle wollen sich behandeln lassen. Hier bedarf es neuer Konzepte und vor allem des politischen Willens, das Problem anzugehen. Dies wird ein langer Weg und Ingo van Thiel, Deutsche Leberhilfe, prognostizierte, dass das Problem Hepatitis C in Europa in absehbarer Zeit nicht gelöst sein wird. Die neuen Hepatitis-C-Therapien werden von den Patienten zwar besser akzeptiert als die nebenwirkungsreichen Interferon-Regime, doch der Zugang zu den neuen Medikamenten ist in Europa keinesweg überall gesichert.