Markus Backmund, München
Alkohol- und Opiatkonsum Abhängigkeit und/oder Beikonsum?

Viele Opiatabhängige konsumieren vermehrt Alkohol. Dabei handelt es sich nicht um Beikonsum, sondern um eine zusätzliche Alkoholkrankheit. Beide Erkrankungen gehen häufig mit weiteren psychiatrischen Erkrankungen einher und die somatischen Folgen können sich addieren – insbesondere im Hinblick auf die Leber.

Therapie vs Drogen

Man kann davon ausgehen, dass die meisten opiatabhängigen Patienten, die Alkohol konsumieren, nicht nur opiatabhängig, sondern auch alkoholabhängig sind. 28% - 74% der Opiatabhängigen trinken viel Alkohol, durchschnittlich 176 g Alkohol/Tag (Backmund et al. 2003, Watson et al. 2007). Bei Opiatabhängigkeit wurde und wird aber aus ideologischen Gründen von Beikonsum gesprochen. Diese Terminologie hat Konsequenzen. Wird bei substituierten Patienten „Beikonsum“ entdeckt, müssen Patientinnen und Patienten ebenso wie deren Ärztinnen und Ärzte mit Sanktionen seitens des Staates rechnen.

Aus fachlich medizinischer Sicht wäre es richtiger hier von einer zusätzlichen schweren Krankheit oder zumindest schädlichem Konsum zu sprechen. Beide Erkrankungen führen nicht nur zu psychischen und psychiatrischen Folgekrankheiten, sondern werden häufig auch von ähnlichen weiteren Erkrankungen begleitet und haben vielfältige somatische Folgen.

Psychiatrische Erkrankungen

Alkoholkranke Menschen leiden häufiger als Nicht-alkoholkranke Menschen an weiteren psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen und Psychosen (Sánchez-Peña et al. 2012). Dies trifft auch für Opiatabhängige zu. 34 – 57% der Opiatabhängigen haben psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen und/oder Angsterkrankungen. Bis zu 15% leiden auch an Psychosen (Krausz et al. 1998, Watson et al. 2007, Maremmani et al. 2007). Dabei handelt es sich, wie eine neuere Arbeit verdeutlicht, nicht nur um sogenannte drogeninduzierte Psychosen. Substanzabhängigkeit geht mit einer hohen Prävalenz von Psychosen unabhängig von den Effekten der Substanzen einher (Lechner et al. 2013).

Alkohol und Heroin im Vergleich

Heroin
Heroin ist eine illegalisierte Droge. Die Zahl der abhängigen Konsu-menten wird auf knapp 150.000 – 290.000 geschätzt (Kraus et al 2004). Weniger als 2.000 sterben pro Jahr infolge des Opiatkonsums. Opiate schädigen per se keine Zel-len und Organe. Sie können ein Le-ben lang ohne schädigende Wirkung verabreicht werden. Opiate sind aber wegen der geringen therapeu-tischen Breite gefährlich. Bei zu ho-her Dosierung können sie rasch zu Überdosierung mit Atem- und Herz-kreislaufstillstand führen können.

Alkohol
Alkohol ist eine legale Droge. Nach Analyse der Deutschen Hauptstel-le für Suchtfragen sterben 74.000 Menschen im Jahr in Deutschland an den Folgen des Alkoholkonsums (www.dhs.de). 3 Millionen alko-holabhängige Menschen leben in Deutschland, weitere 5 Millionen konsumieren täglich soviel Alkohol, dass der Konsum als schädlich ein-zustufen ist. Alkohol kann als Zellgift alle Organe schädigen. Davon sind die Schädigungen der Leber, die zu Leberzirrhose und Leberversagen führen können, am bekanntesten.

Negative Synergien

In Spanien wurden alkoholkranke Patienten hinsichtlich anderer Abhängigkeiten, somatischer Krankheiten und möglichem Tod untersucht. Die Patienten tranken durchschnittlich 200 g Alkohol/Tag und waren bereits 18 Jahre abhängig. Eine Leberschädigung hatten 99%, Lungenerkrankungen 86% und kardiovaskuläre Erkrankungen 58% der Patienten. 50% der Patienten starben innerhalb von 10 Jahren nach der stationären Behandlung. Unabhängige Risikofaktoren für Tod waren die Schwere der körperlichen Erkrankung und Opiatabhängigkeit (Rivas et al. 2013).

Besonders ungünstig ist das Zusammentreffen von Heroin, Alkohol und Hepatitis C. Die chronische Hepatitis C, die als Präkanzerose gilt und zu Leberzirrhose und Leberversagen führen kann, ist die häufigste Infektionskrankheit bei Opiatabhängigen (Backmund et al. 2005). Daher verwundert es nicht, wenn Lebererkrankungen als Todesursache bei Opiatabhängigen immer häufiger werden (Grebely et al. 2011, Gibson et al. 2011).

Veraltete Gesetze

Für die Gesellschaft und die Abhängigen sind Alkohol und Heroin die härtesten und  schädlichsten Substanzen (Nutt et al. 2010). Wenn wir also von gemeinsamer Abhängigkeit von Alkohol und Heroin sprechen, handelt es sich um die in ihren Auswirkungen auf das Individuum und die Gesellschaft gravierendsten Suchtkrankheiten. Das gemeinsame Auftreten dieser schweren Erkrankungen wird immer mehr erkannt. Über 20 Jahre alte Gesetze verhindern jedoch dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand (evidenced based medicine) entsprechende Therapien. So kann es passieren, dass gefordert wird, bei fortbestehendem Alkoholkonsum, die effektivste der Behandlungsstrategien der Opiatabhängigkeit – die Substitutionsbehandlung – zu beenden. Dabei bietet gerade die Substitutionsbehandlung die Chance, andere schwere Erkrankungen zu diagnostizieren und zu therapieren. So kann u.a. eine Alkoholkrankheit diagnostiziert und eine chronische Hepatitis C behandelt werden (Backmund et al. 2001).

Vorgehen bei Opiatabhängigen

Bei Opiatabhängigen mit Alkoholkonsum sollte zunächst versucht werden, durch Motivational Interviewing, zum Beispiel bei einer Hepatitis C-Begleiterkrankung, eine Reduktion oder Abstinenz von Alkohol zu erreichen. Kurzinterventionen haben sich auch bei Opiatabhängigen als erfolgreich erwiesen (Darker et al. 2012). Bei gleichzeitiger Alkoholabhängigkeit kann bei Motivation eine stationäre Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung mit anschließender Alkoholabstinenz angestrebt werden. Bleibt diese ohne Erfolg könnten Therapien, die das Trinken „kontrollieren“, versucht werden.

Anti-Craving Substanzen wie Naltrexon oder auch das zur Trinkmengenreduktion in Kürze zur Verfügung stehende Nalmefene (Mann et al. 2013) können jedoch bei Opiatabhängigen wegen der Bindung an die μ-Rezeptoren nicht eingesetzt werden.

Wünschenswert für die Zukunft sind Studien mit Baclofen, Pregabalin und anderen Medikamenten, die unter Beibehaltung der Substitutionsbehandlung bei gleichzeitiger Alkoholkrankheit die Alkoholmenge reduzieren oder beenden helfen.

 

Literatur

Backmund M, Schütz CG, Meyer K, Eichenlaub D, Soyka M. Alcohol Consumption in Heroin Users, Methadone-Substituted and Codeine-Substituted Patients – Frequency and Correlates of Use. Eur Addict Res 2003; 9: 45-50.

Backmund M, Reimer J, Meyer K, Gerlach JT, Zachoval R. Hepatitis C and Substance Abuse: Treatment of IDUs. Clin Infect Dis 2005; 40 Suppl 5: S330-335

Darker CD, Sweeney BP, El Hassan HO, Smyth BP, Ivers JH, Barry JM. Brief interventions are effective in reducing alcohol consumption in opiate-dependent methadone-maintained patients: results from an implementation study. Drug Alcohol Rev. 2012;31(3):348-356.

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Kraus L, Heppekausen K, Tretter F. Prävalenzschätzungen von Opiatkonsumenten in deutschen Großstädten: Methoden und Ergebnisse. Sucht 2004; 50: 11-20.

Krausz M, Degkwitz P, Kuhne A, Verthein U. Comorbidity and mental disorders. Addict Behav 1998; 23: 767-783.

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Maremmani I, Pacini M, Pani P, Perugi G, Deltito J, Akiskal H. The mental status of 1090 heroin addicts at entry into treatment: should depression be considered a “dual diagnosis”? Arch Gen Psychiatry 2007; 13: 31.

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Sánchez-Peña JF, Alvarez-Cotoli P, Rodriquez-Solano JJ. Psychiatric disorders associated with alcoholism: 2 year follow-up of treatment. Actas Esp Psiyuiatr 2012; 40:129-135.

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Wittchen H-U, Rehm J, Gölz J et al. Schlussfolgerungen und Empfehlungen für eine bedarfs- und zielgruppengerechtere Gestaltung der langfristigen Substitution Opiatabhängiger. Suchtmed 2011; 13: 287-293

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