WARUM DIE HEPATOLOGIE GESONDERTE LEITLINIEN BRAUCHT
Compliance bei Hepatitis
Die Therapie der Hepatitis B und C wird immer stärker individualisiert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Genotyp und Viruskinetik. Es gibt jedoch noch einen weiteren wichtigen Faktor, der über Erfolg oder Misserfolg der Therapie entscheidet: Die Compliance, neuerdings auch "Adhärenz" genannt. Bevor Ärzte eine Hepatitis-Therapie einleiten, sollten sie sich daher fragen, welche Compliance-fördernden Maßnahmen sie anbieten können.
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Compliance ist ein dynamischer Prozess. Dieser beginnt schon mit der Diagnose und den ersten Informationen über die Erkrankung, sei es durch den Arzt oder über Sekundärquellen (Informationsbroschüren, Internet etc.). Es reicht nicht aus, wenn der Arzt einmal im Gespräch mitteilt, wie wichtig die regelmäßige Medikamenteneinnahme doch ist. Regelmäßige Maßnahmen zur Unterstützung der Compliance werden gebraucht und man sollte jeden Kontakt mit dem Patienten nutzen, um die Compliance zu fördern. Prinzipiell sollte jede Einheit, Klinik und Praxis schriftliche Leitlinien für die Compliance-Unterstützung/Schulung haben. Auch das Personal bzw. Team sollte geschult sein, dass Compliance-fördernde Maßnahmen auch in der täglichen Praxis umgesetzt werden können.
ERSTER SCHRITT INFORMATION
Wer hat Probleme beim Einnehmen?
Wer die Therapie wie konsequent verfolgt, lässt sich im Einzelfall schwer vorhersagen. Persönliche Probleme, kulturelle und sprachliche Missverständnisse sowie weltanschauliche Haltungen können der Therapie im Wege stehen. Doch aus der Compliance-Forschung bei HIV kennt man Gruppen, die häufiger an Compliance-Problemen leiden. Hierzu gehören Patienten mit Kommunikationsproblemen, psychiatrischen Begleiterkrankungen, Wahrnehmungsstörungen, aktivem Gebrauch von Alkohol, Drogen oder anderen Substanzen, Menschen mit niedriger Schulbildung oder sozial Bedürftige, Schwangere, Mütter und Kinder, Einwanderer und Gefängnisinsassen. Auch hier lässt sich aber die Compliance verbessern, wie z.B. durch eine Substitutionsbehandlung bei Drogengebrauchern. Bei Sprachproblemen kann ein Dolmetscher hilfreich sein.
Die Einsicht der Patienten, dass die Therapie nötig ist und Nutzen bringt, ist für die Compliance unabdingbar. Patienten sollten in die Therapieentscheidung eingebunden werden, es sei denn, sie wünschen ausdrücklich, dass der Arzt die Entscheidung übernimmt. Ein gutes Vertrauensverhältnis zum Arzt ist für die Compliance ebenso wichtig wie ein gutes Hintergrundwissen über die Erkrankung und die Einsicht, wie wichtig die regelmäßige Einnahme der Medikamente ist. Die Erklärung der Erkrankung und des Therapiekonzeptes muss verständlich sein. Gerade im HBV-Bereich hat ein großer Anteil der Patienten einen fremdsprachlichen Hintergrund. Sprachliche und kulturelle Barrieren müssen berücksichtigt und überwunden werden.
SELBSTHILFEORGANISATION
Jeder Patient wird durch seine eigene persönliche Erfahrung geprägt. Das Bedürfnis, über diese Erfahrung zu reden, kann für andere Patienten wiederum sehr hilfreich sein. In Selbsthilfegruppen erfahren Patienten vor und während der Therapie, wie andere diese erlebt haben und mit Problemen umgegangen sind. Die Krankheit und die gemeinsame Erfahrung mit der Therapie macht diese Gruppe zu einem wichtigen Informationspool für Anregungen zur Compliance-Steigerung. Diese Informationen sind nur in diesem Kreis zu bekommen und sollten eigentlich als das wertvollste Informationsinstrument aufgelistet werden.
Im HIV-Bereich und in der modernen Drogenberatung wird genau diese Art von Informationsbeschaffung bereits eingesetzt. Es handelt sich dabei um die sogenannte "Peer-Driven Intervention". Hierbei geben Patienten anderen Patienten Ratschläge und Informationen und setzen diese aktive als eigene Krankheitsbewältigung bzw. Suchtbekämpfung ein. Die Informationen gebenden Patienten wiederum werden von Ärzten und professionellen Betreuern angeleitet.
Veranstaltungen
Mi 20. Juni 2007
19.00 - 21.00 Uhr
Ort: Anny-Lang-Haus der AWO,
Otto Witte Saal, Unter den Eichen 1,
65195 Wiesbaden
Eine Herzliche Einladung und
weitere Informationen:
Prof. Dr med. Hanns Löhr - Tel: 0611-37 79 11
Hepatitis Selbsthilfe Rhein-Main e.V.
Tel: 0611-7 63 79 64
15. September 2007
10.00 - 14.00 Uhr
"Leber im Focus"
Ort: DGVS 2007 in Bochum
Ausrichter: Deutsche Leberhilfe e.V.
Leitung: Prof. Niederau
Infos unter: www.leberhilfe.org
oder Tel. 0221-28 299 80
16. November 2007
09.00 - 12.00 Uhr
Mainzer Arzt-Patienten-Seminar
"Nach der Lebertagung 2007:
Neues und Relevantes"
Ort: I. Medizinische Klinik und
Poliklinik der Universität Mainz
Hörsaal Chirurgie, Bau 505
Langenbeckstr. 1 · 55131 Mainz
FAKTOR ARZT
Grundvoraussetzung für eine gute Compliance ist ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis.37 Dieses beschränkt sich nicht nur auf die Person "Arzt" und "Patient", sondern betrifft auch das gesamte Umfeld. So ist es für Patienten sehr wichtig, wie lange sie auf einen Termin warten müssen, wie das Verhalten der weiteren Angestellten ist (Arzthelferinnen, Sprechstundenhilfen etc.), ob die Arzt-Patienten-Beziehung durch ständigen Wechsel von betreuenden Ärzten gefährdet ist und ob sich die entsprechende Zeit genommen wird, Patienten umfassend aufzuklären. Der direkte Arzt-Patienten-Kontakt sollte jedes Mal auch für Maßnahmen zur Compliance-Steigerung genutzt werden.
ZUSÄTZLICHE HILFEN
Selbst wenn all diese Faktoren stimmen, ist dies keine Garantie für eine gute Compliance. Daher sollte man über weitere Hilfen nachdenken, z.B. über Möglichkeiten der Erinnerung per Telefon oder Postkarte, elektronische Erinnerungen oder auch über die Integration von Familien und Freunden. Letzteres wurde im HIV-Bereich als wirksam beschrieben.
ERFAHRUNGSAUSTAUSCH
Wichtig ist auch die Bereitschaft von gut laufenden Schwerpunktpraxen und Kliniken, ihre Erfahrungen bezüglich Compliance-Steigerung anderen mitzuteilen. Anlässe dazu gibt es genug. Jedoch wurde bis dato noch kein Fortbildungsseminar oder Symposium angeboten, das sich mit dem Austausch von Praxis- und Klinikmanagement zur Compliance-Verbesserung beschäftigt hat. Es sollte zukünftig zur Regel werden, dass Ärzte und Personal an entsprechenden Compliance-Fortbildungen teilnehmen.
Unterschiede bei Hepatitis B und C
Die Compliance ist wesentlich abhängig von der Darreichungsform der Medikamente und der individuellen Therapiedauer. Bei den Medikamentenregimes muss man daher klar zwischen der Hepatitis-B- und der Hepatitis-C-Therapie unterscheiden. Bei der Hepatitis B kommt es auf die Langzeit-Adhärenz an. Bei der kürzeren Hepatitis C-Therapie gilt die "80:80-Regel", d.h. die regelmäßige Einnahme über 80% der Zeit von über 80% der Medikamente ist ein wesentlicher Faktor für den Therapieerfolg.
HEPATITIS B
Abb. 1: Hepatitis-B-Virus
Wird Hepatitis B mit Interferon behandelt, ähneln die Herausforderungen der Interferon-Behandlung der Hepatitis C. Der überwiegende Teil der Hepatitis-B-Patienten wird jedoch mit Nukleos(t)idanaloga behandelt. Bei dieser Langzeittherapie spielt die wiederholte Motivation eine entscheidende Rolle. Gründe für das Auslassen von Tabletten reichen von einfachem Vergessen bis hin zum bewussten Auslassen, da man sich nicht mehr krank fühlt. Gut eingestellte Hepatitis-B-Patienten sehen den Arzt seltener als Patienten unter einer Hepatitis-C-Therapie. Deshalb muss hier das Umfeld außerhalb von Praxis bzw. Klinik stärker eingebunden werden.
Ebenso wichtig ist die wiederholte Information über Hepatitis B. Patienten, die durch Veröffentlichungen immer wieder an die Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme erinnert werden, haben vermutlich eine höhere Compliance als Patienten, die nur einmal darauf angesprochen wurden. Hier kann die beratende Selbsthilfe eine wichtige Rolle übernehmen. Sie steht in regelmäßigem Kontakt mit dem Patienten, manchmal sogar in häufigerer Frequenz als der Patienten-Arzt-Kontakt. Hilfreich sind auch technische Hilfsmittel wie die elektronische Tablettenschachtel. Dadurch haben Patient und Arzt eine wesentlich bessere Übersicht über die tatsächlich eingenommene Anzahl von Tabletten. Möglichkeiten gibt es viele, jedoch wird leider viel zu selten an deren Einsatz gedacht.
HEPATITIS C
I. VOR DER THERAPIE
Wie kann Compliance überwacht werden?
Zur Überwachung der Compliance gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Fragebögen oder Interview. Beide Methoden können als gleichwertig angesehen werden, haben in der Praxis aber unterschiedliche Wirkung. Fragebögen, die der Patient ausfüllen muss, stärken das Bewusstsein um seine zentrale Rolle. Die Fragebogenmuster aus dem HIV-Bereich können nach geringen Adaptionen für den Hepatitis-Bereich übernommen werden. Die Befragung durch den Arzt hat den Vorteil, dass individueller auf die Situation des Patienten eingegangen werden kann. Im Zeitalter der modernen Medien kann man auch darüber nachdenken, die Überwachung der Compliance elektronisch durchzuführen. Patienten könnten an einem Programm teilnehmen, bei dem man wöchentlich einen elektronischen Fragebogen ausfüllt. Das Programm wertet die Antworten aus und kann dem Teilnehmer wertvolle Hinweise zu seinem Compliance-Verhalten geben.
Bei der Therapieentscheidung sollte die Gesamtsituation des Patienten berücksichtigt werden. Dies schließt nicht nur die Therapiechancen, die medizinische Dringlichkeit und Durchführbarkeit ein, sondern auch der Patientenwunsch sowie sein soziales Umfeld. Bei der Aufklärung ist - da viele Patienten die Nebenwirkungen der Therapie fürchten - eine möglichst sachliche Information wichtig, die weder verharmlost noch dramatisiert. Diese schließt Erklärungen ein,
a) dass Nebenwirkungen in der Tat eine wichtige Rolle spielen,
b) dass nicht jeder Patient alle Nebenwirkungen bekommt und auch die Stärke der Nebenwirkungen schwanken kann.
c) dass man gegen bestimmte Nebenwirkungen etwas tun kann.
II. WÄHREND DER THERAPIE
Je mehr Tabletten umso größer ist das Risiko, dass die eine oder andere Tablette ausgelassen wird. Im HIV-Bereich zeigte eine Studie von Claxton kürzlich, dass die Compliance sinkt, je öfter Patienten täglich ihre Tabletten nehmen sollen. Überträgt man diese Erkenntnisse auf Hepatitis C, zeigt sich deutlich, dass gutes Zureden alleine bei einer Therapie nicht genügt. Hier könnte man z.B. über ein Therapietraining nachdenken. Über einen bestimmten Zeitraum werden Placebos verabreicht und dabei analysiert, ob es Compliance-Störungen gibt und wie diese behoben werden können. Im HIV-Bereich wurde so etwas in verschiedenen Studien als erfolgreich eingestuft. Ein "Trockenlauf", bei dem Substanzen durch Placebo ersetzt wurden, war bei der Entdeckung möglicher Compliance-Hindernisse in der HIV-Therapie nützlich. Analog könnte dies auch vor einer Hepatitis-C-Therapie nützlich sein.
Wichtig ist selbstverständlich die individuell maßgeschneiderte Einnahmeroutine. So wird ein Fabrikarbeiter, der überwiegend Nachtschichten hat, eine andere Einnahmeroutine vorziehen als z.B. ein Lehrer.
NEBENWIRKUNGEN
Ein besonders wichtiger Grund für mangelnde Compliance sind Nebenwirkungen. So sind auch bei der HIV-Therapie Nebenwirkungen ein häufiger Grund für das Auslassen von Medikamenten. Das ist vermutlich auch bei der Hepatitis-C-Therapie so, die nicht selten mit Grippegefühlen, Übelkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen und Appetitverlust verbunden ist. Durch Erbrechen und Müdigkeit kann es ferner zu einer ungewollten Dosisreduktion kommen, wenn die Tablette vor der Resorption ausgeschieden oder Einnahme verschlafen wird.
Zum wichtigen Nebenwirkungsmanagement können sowohl Ärzte als auch Selbsthilfegruppen aus ihrer Erfahrung Hinweise geben - wozu unter anderem auch die Information über Notfall-Hotlines und Bereitschaftsärzten gehört.
Achim Kautz
Ingo van Thiel
Deutsche Leberhilfe e.V.
Email: info@leberhilfe.org