18TH INTERN. CONFERENCE ON THE REDUCTION OF DRUG RELATED HARM
Schadensminderung

Herausragende Themen der Harm Reduction Conference waren der Anstieg des Heroinkonsums in Osteuropa und Zentralasien sowie in der islamischen Welt, die Prävention von HIV und HCV, die Implementierung von schadensmindernden Projekten im Osten, die medizinische Versorgung in Gefängnissen und der Kampf um Menschenrechte für Drogenkonsumenten.

Die International Harm Reduction Association (IHRA) hatte vom 13.-17.05.07 nach Warschau zur 18. International Conference on the Reduction of Drug Related Harm geladen. Das Motto lautete "Harm Reduction - coming of age". Die Disziplin ist volljährig, ist erwachsen geworden. Rund tausend Ärzte, Psychologen, Sexualwissenschaftler, Krankenpfleger und Sozialarbeiter aus aller Welt trafen sich mit Vertretern von UN, Weltbank, WHO sowie mit Vertretern von Politik, Strafverfolgung und Public-Health-Spezialisten. Auch die Protagonisten des International Network of People Who Use Drugs (INPUD) waren zahlreich erschienen. Sie wollen über die Fachleute wachen nach der Devise "Nothing about us - without us".

HARAM - ABSOLUTES VERBOT

Sanktionen ohne Erfolg

Asien und Europa müssen ihre Drogenpolitik von den USA abkoppeln. Die USA setzen unvermindert auf Verkleinerung der Drogenmärkte durch Bestrafung der Konsumenten und Vernichtung von Anbauflächen. Die Einwohner der USA sind 4% der Weltbevölkerung. 22% aller Gefängnisinsassen weltweit sitzen in amerikanischen Gefängnissen. Diese imposante Bestrafungsorgie ist jedoch ohne messbaren drogenpolitischen Erfolg. Diese Strategie sollte ersetzt werden mit dem Bemühen, die Schäden durch den Drogenkonsum für Individuum und Gesellschaft zu minimieren.

Unübersehbar war die Spaltung in West und Ost. Während nahezu alle Vorträge von Europäern, Amerikanern und Australiern gehalten wurden, stammten nahezu alle Poster aus Osteuropa und Asien. Im Westen die arrivierte Disziplin Harm Reduction, im Osten der Kampf gegen Vorurteile genauso wie bei uns vor 20 Jahren. Nur die Art der Vorurteile hat sich geändert. Harm Reduction gilt plötzlich z.B. als un-islamisch, weil damit das "Haram" - das absolut Verbotene - unterstützt werde. Trotzdem gab es Ärztinnen und Sozialarbeiterinnen mit Kopftuch auf der Konferenz, die in Filmen sterile Löffel zum Aufkochen des Heroins verteilten. Bei ihnen hat die westliche Pragmatik über die vermeintlichen Gebote des Koran gesiegt.

HEROIN IM OSTEN

In den osteuropäischen und asiatischen Gesellschaften, die aus kommunistischer Globalversorgung oder aus bäuerlich geprägter Basis plötzlich den Sprung ins Internet-Zeitalter machen müssen, gibt es viele soziale Verlierer und damit ein großes Reservoir für den Konsum von Drogen. Die 1998 von der UN verbreitete Maxime "A Drug-Free World - We Can Do It " hat sich heute - ein Jahr vor ihrer Einlösung - als Weltfremdheit von gespenstischer Naivität erwiesen. Das falsche Versprechen hat allerdings den Politikern in Osteuropa und Asien lange Zeit ein Alibi für ihre Untätigkeit gegeben. Warum sollten sie denn auch große Anstrengungen unternehmen, wenn das Problem ohnehin bald durch militärische und polizeiliche Maßnahmen aus der Welt geschafft ist? Jetzt entdecken sie, dass ihre Erwartungen falsch waren und beginnen damit, die infektionsepidemiologischen Fehler des Westens aus den frühen achtziger Jahre zu vermeiden.

EIN WEITER WEG

Mehrere Projekte in Indonesien, Brasilien, China, Myanmar, Vietnam und Thailand zeigen beispielhaft, dass die lokale Etablierung von harm reduction auf viele Widerstände stößt. Auf der einen Seite sind es die Einwohner selbst, die sich gegen die Nachbarschaft der geplanten Institution wehren. Auf der anderen Seite scheint es für Justiz und Polizei schwer zu sein, den neuen Ansatz zu akzeptieren und einen Spritzentauschautomaten nicht für die verstärkte Verhaftung von Kunden zu missbrauchen.

Die Reaktion auf Drogenabhängige in Entwicklungsländern besteht bisher weitgehend in Marginalisierung und Bestrafung. Deshalb müssen erst einmal große Gruppen von Ärzten und medizinischen Hilfsberufen auf die Methoden des schadensmindernden Umgangs trainiert werden. Dazu gehört neben Beratung und Aufklärung von Konsumenten die Überwachung von Spritzentausch, die Vergabe von Methadon, die DOT (Directly Observed Therapy) in der HIV-Behandlung und vieles neues mehr. Und dieses Training muss in einem politischen Umfeld absolviert werden, in dem Politiker öffentlich warnen, dass Methadon und Buprenorphin weit gefährlicher seien als Heroin.

Die Weite des Landes in China und die beschränkte Anzahl der Versorgungspunkte schließt viele Drogenkonsumenten von der Versorgung aus. Frauen sind aus kulturellen und religiösen Gründen ebenfalls schwerer zu erreichen. Sie haben häufig eine höhere Analphabetenrate, eine geringere Entscheidungsfreiheit und eine geringere Bewegungsfreiheit. Ihr familiärer Rückhalt ist minimal, da sie aus Sicht der Familie deren Ehre beschmutzt haben.

PRISON UND PUBLIC HEALTH

In vielen Entwicklungsländern sind die Gefängnisse zum Motor der HIV- und HCV-Epidemie geworden. Sie sind meist überbelegt (1,50 x 1,60 m pro Häftling), besitzen schlechte sanitäre und schlechte Ernährungsverhältnisse. 10 bis 75% der Gefangenen sind Drogenabhängige. 30-50% injizieren im Gefängnis weiterhin Drogen, 80% von ihnen teilen ihr Spritzbesteck mit anderen. Ungeschützte sexuelle Übergriffe der Lebenslänglichen gegenüber dem "Frischfleisch" der jungen Drogenkonsumenten sind weit verbreitet. Nadeltausch und Beschaffungsprostitution sind die Regel.

DEUTSCHLAND HINTER KIRGISIEN


Heroinlöffel mit HCV-Information

Die prophylaktische Quadriga aus Spritzentausch, Substitution, HAART und Kondomen sollte laut WHO die Transmission von HIV und HCV im Gefängnis deutlich senken. Entsprechende Spritzentauschprogramme sind aber bisher nur in Spanien in 38 Gefängnissen vorbildlich vorhanden. Deutschland liegt mit einem versorgten Gefängnis auf demselben Niveau wie der Gottesstaat Iran. Selbst die Republik Kirgisien hat in 11 Gefängnissen Tauschprogramme. Die Autorität der WHO, die solche Austauschprogramme seit 1987 dringend empfiehlt, scheitert an der Macht, die die Abstinenzideologie immer noch entfaltet. Möglicherweise wird Deutschland hier von Asien überholt und man wird die eigenen Handlungsanweisungen erst später von dort "reimportieren".

KOINFEKTION HIV/HCV

In West-Europa gelang es durch Prophylaxe, die Zahl der HIV-Infizierten unter den Drogenkomsumenten klein zu halten. In Osteuropa und in Asien entsteht dagegen derzeit eine Koinfektionsepidemie HIV/HCV. Doppelinfizierte versterben häufig bereits nach 10 bis 15 Jahren an einer dekompensierten Leberzirrhose. Eine HCV-Therapie wird aber weltweit nur außerordentlich selten angeboten. Deshalb muss man damit rechnen, dass in Osteuropa und Asien eine ganze Generation von Drogenkonsumenten vorzeitig sterben wird (20 Jahrgänge, von denen jetzt schon die Hälfte seit 10 Jahren doppelinfiziert leben).

Die Behandlung der HIV- und HCV-Infektion ist nicht nur teuer. Sie kann auch nur dann bei Drogenkonsumenten funktionieren, wenn sie in ein suchtmedizinisch orientiertes und multidisziplinäres Netzwerk eingebettet ist. Dies erfordert sehr große Investitionen in die Infrastruktur des Versorgungssystems. Alternativen zu diesen Investitionen gibt es nicht, denn alle Konsumenten werden später auf die eine oder andere Art zu "Versorgungsfällen" für die Gesellschaft.

Mit der europäischen Initiative zur Erkennung und Behandlung der Hepatitis C und dem "World Hepatitis Awareness Day" wird erstmals auch eine politische Sensibilisierung für das zukünftige Problem der Hepatitis C-Pandemie spürbar. Diese politische Besorgnis ist die Voraussetzung für die Bereitschaft, in das Versorgungssystem zu investieren.

Dr. med. Jörg Gölz
Kaiserdamm 24 - 14057 Berlin
Email: goelz@snafu.de


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