Uwe Naumann, Berlin
Tripletherapie bei Suchterkrankung
Ein heute 57-jähriger Mann, Inhaber einer kleinen Computerfirma. Hinsichtlich seiner suchtmedizinischen Anamnese besteht seit dem 12. Lebensjahr ein Tablettenmissbrauch mit Ritalin und anderen psychotropen Substanzen. Mit 16 beginnt er Opiate zunächst zu rauchen und nasal zu applizieren, seit dem 18. Lebensjahr beginnt er mit regelmäßigem, intravenösem Gebrauch.
Über Jahre hinweg unternahm er zahlreiche, erfolglose Abstinenzversuche, bis er sich 1979 entschloss, zu Synanon (Suchthilfegemeinschaft) zu gehen. In dieser Gemeinschaft gilt die Grundregel: „Keine Drogen, kein Alkohol, keine bewusstseinsverändernden Medikamente“. Diese Grundregel zu befolgen gelang ihm während seiner aktiven Zeit bei Synanon und auch darüber hinaus.
HCV-Therapie abgebrochen
Eine Hepatitis war seit Ende der 70er Jahre bekannt, nach möglicher Differenzierung wurde 1997 die Diagnose einer chronischen HCV-Infektion GT 1a gestellt. Im Jahr 2001 wurde eine kombinierte Therapie bestehend aus Peginterferon alpha und Ribavirin initiiert. Die genaue Ribavirin-Dosierung und das verabreichte Interferonpräparat lassen sich heute nicht mehr eruieren.
Durch partnerschaftliche Probleme bestand damals eine starke emotionale Belastung bereits vor der Behandlung. Unter der Therapie beklagte er ausgeprägte unerwünschte Wirkungen, vor allem eine depressive Symptomatik und Insomnie. Im Rahmen eines pulmonalen Infektes erhielt er neben Antibiotika auch Paracodein. Hierdurch ausgelöst kam es zu einem Rückfall mit Codein, Diazepam und Rohypnol®, was zu einem Abbruch der Behandlung nach rund 3 Monaten führte. Ein Virusverlauf aus dieser Zeit ist nicht nachvollziehbar.
Nach mehreren Entgiftungen erreichte er ab 2003 erneut Abstinenz. Sport war dabei hilfreich, aber da er im Laufe der Zeit seine Leistungsgrenze erreichte, versuchte er, diese mit Anabolika zu erweitern. Hierdurch hervorgerufene Schlafstörungen und Schmerzen behandelte er mit Codein, Tilidin, Distraneurin® und Tavor® eigenverantwortlich.
Substitution
2007 wurde er in unserer Praxis zur Substitutionsbehandlung aufgenommen mit dem Ziel, die Prokura seiner Firma an einen Mitarbeiter zu übergeben, um nach Stabilisierung erneut eine HCV-Therapie machen zu können.
Anfang 2009 kam es vor der geplanten Hepatitis-Behandlung erneut zu einem Rückfall mit Tavor® und Distraneurin®. Nach einer Entgiftung konnte er ohne Beikonsum weiterhin substituiert werden. Im Februar 2011 war der erneute Versuch der Interferontherapie geplant. Die direkt antiviralen Substanzen (DAA) standen jedoch kurz vor der Zulassung und der Patient sollte bis zu deren Zulassung warten.
Ausgangsbefund
Im Routinelabor im Juli 2011 waren die Transaminasen nur gering erhöht, die HCV-PCR betrug 406.000 IU/ml. Die Abdomensonografie wies keine pathologischen Veränderungen auf, der Fibroscan eine F2-Fibrose. Der Patient zeigte sich in Gesprächen sehr kooperativ und motiviert, vereinbarte Termine nahm er regelmäßig wahr. Die Ehefrau war bei mehreren Gesprächen anwesend und wurde mit der Verabreichung der Interferonspritze sowie den Besonderheiten der Therapie vertraut gemacht. Ein besonderer Schwerpunkt hierbei lag in der Sensibilisierung für die notwendige regelmäßige Einnahme der Tabletten, insbesondere des Proteasehemmers gemeinsam mit Nahrung.
Boceprevir nach Lead in
Im Oktober 2011 wurde mit einer Lead-in-Phase begonnen. Zu Woche 4 betrug die Viruslast noch 2.000 IU/ml, sodass die Behandlung zu Therapiewoche 5 um Boceprevir erweitert wurde. Ab Woche 8 konnte dann im Verlauf kein Virusnachweis mehr erbracht werden.
Aufgrund der bekannten depressiven Symptomatik in der Vortherapie wurde eine unterstützende Medikation mit Citalopram bereits vor der PegIFN-Behandlung begonnen. Hierunter waren die physischen und psychischen Einschränkungen für den Patienten nach eigenen Angaben tolerabel, die bekannten Blutbildveränderungen unter einer Triple-Therapie bedurften keiner Therapieanpassung (Tabelle 1).
Rückfall unter Therapie
Nach 16 Therapiewochen wurde im Rahmen der Vergabe erstmalig ein Alkohol Foetor auffällig. Auf Nachfrage offenbarte der Patient einen seit zwei Wochen anhaltenden Alkoholkonsum von bis zu 1 Liter Wodka täglich. Die Transaminasen blieben dennoch auch zu dieser Zeit unauffällig (Tab 1). Er erhoffte sich durch den Alkoholkonsum eine Linderung seiner Schlafstörung sowie eine Zunahme seiner körperlichen Belastbarkeit.
Woche | 0 | 2 | 4 | 8 | 12 | 16 | 20 | 24 | 48 | FU 4 |
HB g/dl | 15.1 | 11.6 | 10.2 | 9.1 | 8.6 | 9.0 | 9.4 | 9.2 | 9.6 | 12.4 |
GPT U/L | 55 | 76 | 48.7 | 52 | 72.2 | 68.5 | 54 | 48.4 | 34.2 | 32.6 |
gGT | 318 | 409 | 326 | 272 | 279 | 311 | 226 | 231 | 187 | 119 |
Tabelle 1: Verlauf Transaminasen und Hämoglobin während der HCV-Therapie
In der eingeleiteten Entgiftung des Alkoholrückfalls „ergänzte“ er die Klinikmedikation um mitgebrachtes Distraneurin®, konnte jedoch nach einer Abmahnung die Entgiftung erfolgreich abschließen. Die Dosis von zuvor 11 ml Polamidon wurde auf 13 ml erhöht. Dies führte zu einer Entlastung für den Patienten. Durch die Umstellung von Citalopram auf Mirtazapin konnten auch die Schlafstörungen gelindert werden. Die antivirale Therapie wurde während des gesamten Rückfalls unverändert eingenommen. Die Ehefrau hatte die Einnahme mit überwacht.
Da die Viruskinetik der Ersttherapie nicht in Erfahrung gebracht werden konnte, ein bereits fortgeschrittener Leberschaden bestand und unter dualer Therapie keine RVR erreicht wurde, schloss der Patient die PegInterferon/Ribavirin/Boceprevir Behandlung im September 2012 nach 48 Wochen ab – ohne weiteren Rückfall. Vier Wochen nach Therapieende besteht aktuell weiterhin Virusfreiheit.
Kommentar
Tabelle 1: Verlauf Transaminasen und Hämoglobin während der HCV-Therapie
Bereits während der dualen Therapie galten eine ausführliche Vorbereitung auf mögliche Nebenwirkungen, eine rasche medikamentöse Reaktion auf diese, ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis sowie motivierende Gespräche durch den Drogenberater und den Arzt, ebenso wie die Einbindung von Familienangehörigen zu den Maßnahmen, die für eine erfolgreiche Behandlung im Rahmen einer Substitutionsbehandlung Voraussetzungen sind.
Auch wenn durch die 3 x tägliche Gabe der DAA ein Instrument zur Überwachung der Medikamenteneinnahme durch den substituierenden Arzt verloren gegangen ist, da man die tägliche Einnahme der Medikamente nun nicht mehr an die Vergabe koppeln kann, so erreicht man doch bei entsprechender Vorbereitung des motivierten Patienten bei Substitutionspatienten eine vergleichbar gute Erfolgsaussicht wie bei Menschen ohne Opiatabhängigkeit. Diese Annahme wird durch erste SVR12-Daten aus unserer Praxis unterstützt. Hier zeigt sich bei der Tripletherapie kein Unterschied im virologischen Therapieverlauf zwischen ehemaligen, aktuellen Drogenkonsumenten und Patienten ohne Drogenkonsum in der Anamnese (Tab 2). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Patienten für eine Triple-Therapie stärker selektiert werden, als in der dualen Therapie.