Prof. Wolfgang Steurer, Tübingen
Immunsuppression nach Lebertransplantation
-Eine Balance zwischen Effizienz und Toxizität
Zur Immunsuppression nach Lebertransplantation stehen verschiedene Protokolle zur Verfügung. Auf Steroide versucht man in der Langzeittherapie aufgrund der Nebenwirkungen möglichst zu verzichten. Ein weiteres Ziel ist die Reduktion der Dosis von Kalzineurin-Inhibitoren aufgrund ihrer nephrotoxischen Effekte. Ein Absetzen der Immunsuppression im Langzeitverlauf ist nur bei wenigen Patienten möglich. Die Abstoßungsreaktion beeinträchtigt die Transplantatleber zwar weniger als andere Organe, eine zuverlässige Prognose ist aber dennoch unmöglich.
Die Wahrscheinlichkeit einer akuten Abstoßung sinkt mit höherem Empfänger-alter (>60 Jahre), bei äthyltoxischer Ursache der Lebererkrankung sowie bei Patienten mit mäßig- bis schwergradiger Nierenfunktionsstörung. Patienten mit autoimmuner Lebererkrankung und normaler Nierenfunktion weisen dagegen eine deutlich höhere Inzidenz akuter Abstoßungsreaktionen auf.
LEBER "IMMUNOLOGISCH PRIVILEGIERT"
Im Gegensatz zur Nieren- und Herztransplantation, bei der eine akute Abstoßung stets ungünstig für das Langzeitüberleben des Transplantates ist, hat eine Abstoßungsreaktion nach Lebertransplantation (LTX) keinen so negativen Effekt. Subklinische bzw. milde Abstoßungen nach LTX können auch ohne klassische Abstoßungstherapie mit hoch dosierten Steroiden ohne weitere Folgen abklingen. Lediglich nach LTX wegen chronischer HCV-Infektion ist das Auftreten einer akuten Abstoßung als prognostisch ungünstig zu werten. Hier entscheidet die Balance zwischen suffizienter Immunsuppression und antiviraler Restaktivität des Empfängerimmunsystems über den Erfolg der Transplantation.
KORTIKOSTEROIDE
Kortikosteroide interferieren über intrazelluläre Rezeptoren mit der Regulation der Gentranskription sehr vieler Körperzellen. Dadurch erklärt sich das breite, dosisabhängige Nebenwirkungsprofil mit Osteoporose, Diabetes, Hyperlipidämie, Hirsutismus, Katarakt, Hypertonie, Wachstumsretardierung bei Kindern und Cushing-Syndrom. In den vergangenen Jahren war deshalb international ein Trend zu geringeren Steroid-Dosierungen bis hin zu steroidfreien Protokollen zu verzeichnen.
Studie (Autor) | Patienten (n) | Protokoll | akute Abstoßung |
---|---|---|---|
Tisone | 22 23 |
Cic+Aza+P Neoral+Aza |
75% Bx d 7 9% behandelt 80% Bx d 7 9% behandelt |
Rolles | 34 30 |
Cic Tac |
65% 66% |
Watson | 4 7 4 |
Sir+Cic+P Sir+Cic Sir |
0% 28% 75% |
Ringe | 30 | Tac+MMF | 26% |
Eason | 36 35 |
ATG+MMF+Tac P+MMF+Tac |
20,5% 32% |
Unter einer dualen Immunsuppression mit Tacrolimus und Mycophenolat Mofetil (MMF) betrug das 2-Jahres-Transplantat- und Patientenüberleben in einer prospektiven Studie 83,9% und 86,7% (Ringe B et al., 2001). Die akute Abstoßungsrate lag bei 26,2%. Ursache der Abstoßung waren meist subtherapeutische Tacrolimusspiegel und Diarrhoe. Unter Ciclosporin und Azathioprin war das Patientenüberleben mit und ohne Steroide ebenfalls identisch.
Eine Zusammenfassung steroidfreier Studien zeigt Tabelle 1.
HOCHDOSIERTE STEROIDE?
Hochdosierte Steroide gelten nach wie vor als Standardtherapie bei der akuten Abstoßung nach LTX. Unter dem Gesichtspunkt selbstlimitierender Abstoßungsepisoden bei gleichbleibender Basisimmunsuppression wird dieses Vorgehen zunehmend kritisch diskutiert. Ein einmaliger Steroid-Bolus von 1.000 mg, gefolgt von einem raschen Ausschleichen auf 20 mg innerhalb von 6 Tagen ist vergleichbar wirksam wie die herkömmliche Bolus-Therapie an drei aufeinander folgenden Tagen. Die kumulative Steroid-Dosis ist aber weitaus geringer. Ebenso scheint der Effekt einer Steroid-Erhaltungstherapie zur Prävention eines Rezidivs der Grundkrankheit bei Autoimmunhepatitis, primärer biliärer Zirrhose (PBC) und primärer sklerosierende Cholangitis (PSC) fraglich, da steroidfreie Protokolle vergleichbare Ergebnisse liefern.
AZATHIOPRIN
Azathioprin hemmt als Vorstufe von 6-Mercaptopurin die DNA- und RNA-Synthese von T- und B-Lymphozyten. Dosis-limitierend sind die Knochenmarks-Toxizität mit Leukopenie sowie bei einigen Patienten eine Hepatotoxizität. Azathioprin wird üblicherweise mit anderen Substanzen kombiniert. Die Einführung der wirkungsvolleren und Lymphozyten-spezifischen Substanzen Mycophenolat Mofetil und Mycophenolat-Natrium hat die klinische Anwendung von Azathioprin weitgehend abgelöst.
MYCOPHENOLAT-MOFETIL (MMF) UND MYCOPHENOLAT-NATRIM
Beide Substanzen wirken als potenter, nicht-kompetitiver Inhibitor der Inosin Monophosphat Dehydrogenase, ein Schlüsselenzym in der Nukleotidsynthese von Lymphozyten. Lymphozyten sind auf diesen Weg der Purinsynthese angewiesen, deshalb wirken beide Substanzen als selektive Hemmer der Lymphozytenproliferation. Häufigste Nebenwirkungen sind gastrointestinale Symptome wie Appetitlosigkeit, Abdominalschmerzen und Diarrhoe. Mycophenolat-Natrium soll in Hinblick auf Nebenwirkungen im oberen Gastrointestinaltrakt gegenüber MMF gewisse Vorteile bieten.
Mehrere Studien zeigen eine Überlegenheit von MMF gegenüber Azathioprin in Bezug auf die Inzidenz akuter und chronischer Abstoßungen bei gleichzeitiger Gabe von Kalzineurin-Inhibitoren (CNI) gezeigt werden. Bei Patienten mit schwerer CNI-Nephrotoxizität erlaubt MMF möglicherweise eine weitgehende Reduktion bzw. das völlige Ausschleichen von CNI. Prospektive Studien mit CNI-freien Protokollen laufen bereits.
KALZINEURIN-INHIBITOREN (CNI)
Die Kalzineurin-Inhibitoren Ciclosporin A und Tacrolimus hemmen die Calcium-abhängige Signaltransduktion des T-Zell-Rezeptors durch Binden an einen cytoplasmatischen Rezeptor (Cyclophilin-CyA, FKBP-Tacrolimus) und die konsekutive Hemmung von Calzineurin. Allerdings verhindert diese Blockade der T-Zell-Aktivierung auch erwünschte Effekte wie Toleranzinduktion. Tacrolimus besitzt im Vergleich zu Ciclosporin eine hydrophobe Makrolidstruktur und ist in vivo 10fach, in vitro 100fach wirksamer als Ciclosporin im Hinblick auf die Hemmung T-Zell-vermittelter Immunprozesse. Zudem besitzt Tacrolimus hepatotrophe Eigenschaften. Die intestinale Resorption ist weitgehend unabhängig vom Gallefluss. Das kardiovaskuläre Risikoprofil ist unter Tacrolimus günstiger, allerdings führt die Toxizität auf die Inselzellen des Pankreas zu einer erhöhten Rate von Post-Transplantationsdiabetes (PTDM).
TACROLIMUS BESSER ALS CICLOSPORIN?
Studien nach LTX ergaben für beide Substanzen geringgradige Unterschiede. In einer Studie war die kumulative 5-Jahres-Transplantat- und Patienten-Überlebensraten unter Ciclosporin und Tacrolimus vergleichbar. Das Halbwertsüberleben für Patienten unter Tacrolimus war allerdings deutlich besser als unter Ciclosporin (25,1 vs 15,2 Jahre) (Wiesner R H et al., 1998). In einer weiteren Studie wurde über bessere Ergebnisse der LTX unter Ciclosporin C2-Monitoring berichtet (Levy G et al., 2002). Die gemessenen C2-Werte liegen eng beim Cmax-Wert der Substanz, der wiederum mit der Inzidenz akuter Abstoßungen korreliert.
Die Wahl des jeweiligen CNI zur Basisimmunsuppression nach LTX unterliegt weitgehend der Präferenz des jeweiligen Zentrums. Argumente für den primären Einsatz von Tacrolimus sind eine geringere Inzidenz akuter Abstoßungen, die geringere Steroid-Begleitmedikation, geringerer Verbrauch polyklonaler anti-T-Zell-AK bzw. von OKT3, bessere Ergebnisse bei HCV-Infektion sowie weniger Hyperlipid-ämien. Für Ciclosporin A sprechen das vergleichbare Patienten- und Transplantatüberleben, eine geringe Abstoßungsinzidenz unter C2-Monitoring sowie die bessere Verträglichkeit.
SIROLIMUS UND EVEROLIMUS
Beide Substanzen binden wie Tacrolimus an das FK-binding protein (FKBP) ohne konsekutive Wirkung auf Calzineurin. Die immunsuppressive Wirkung entsteht durch Bindung an mTOR (mammalian Target Of Rapamycin) mit Blockade des Zellzyklus zwischen der G1 und S-Phase. Anders als die CNI verhindert Sirolimus nicht den Aktivierungs-induzierten Zelltod. Dieser Effekt erklärt die toleranzinduzierende Wirkung im Tierexperiment. Die Substanzklasse scheint zudem die Entstehung der myointimalen Proliferation im Rahmen chronischer Abstoßungen aufgrund des breiten antiproliferativen Effektes insbesondere auf glatte Muskelzellen günstig zu beeinflussen.
Nach Nierentransplantation zeigte Sirolimus eine potente immunsuppressive Wirkung. Mehrere monozentrische Studien beobachteten auch nach LTX eine gute immunsuppressive Wirkung in Kombination mit CNI. Berichte über Wundheilungsstörungen und Thrombosen der A. hepatica unter Sirolimus nach LTX bedürfen allerdings sicherlich noch einer genaueren Evaluierung. Eine wesentliche Indikation für den Einsatz von Sirolimus bzw. Everolimus nach LTX ist das Einsparen von CNI aufgrund der damit assoziierten Nierenschädigung bzw. das Einsparen von Steroiden im Langzeitverlauf. Auch hier laufen entsprechende Untersuchungen.
POLYKLONALE ANTI-T-ZELL ANTIKÖRPER
Die klinische Verwendung dieser potenten T-Zell deplierenden Antikörper war ursprünglich auf steroidresistente Abstoßungen beschränkt. Mittlerweile kommt dieser Substanzklasse jedoch im Rahmen von Steroid- bzw. Kalzineurin-sparenden Protokollen nach LTX eine neue Bedeutung zu. Eine zweimalige Induktions- therapie mit Antithymozytenglobulin in Kombination mit Tacrolimus und MMF erlaubte (Matas A et al., 2005) eine steroidfreie, effektive Immunsuppression.
INTERLEUKIN-2 ANTAGONISTEN
IL-2 ist ein essentieller Wachsumsfaktor für Antigen-aktivierte T-Zellen im Rahmen der akuten Abstoßung. Monoklonale Antikörper gegen die alpha-Kette des IL-2 Rezeptors senken die Abstoßungsraten nach Nierentransplantation deutlich und sind ausgezeichnet verträglich. Bislang wurde eine Antikörper-Induktion im Rahmen der Lebertransplantation nur bei ausgeprägter Niereninsuffizienz eingesetzt. In Zukunft werden anti-IL-2R-Antikörper aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofiles jedoch zunehmend auch breiter im Rahmen CNI- bzw. Steroid-sparender Protokolle eingesetzt werden. Bisherige Studien zeigen nach LTX trotz einer Reduktion der akuten Abstoßung keine erhöhte Inzidenz von Malignomen und Infektionen. Die Induktion der Immunsuppression mit anti-IL-2R Antikörpern erlaubt den verzögerten Einsatz von CNI. Die Kombination der Antikörper mit MMF scheint allerdings eine Hepatitisreinfektion, das Auftreten von Ikterus und eine höhere histologische Entzündungsaktivität zu verstärken.
ABSETZEN DER IMMUNSUPPRESSION?
Das tolerogene Potenzial eines Lebertransplantates wurde bereits früh in Tierexperimenten beobachtet und wird durch klinische Einzelfallberichte untermauert. Indikationen zum völligen Absetzen der Basis-Immunsuppression sind bislang jedoch nur schwere Nebenwirkungen wie PTLD, Infektionen oder Non-Compliance. Das geplante Ausschleichen der Immunsuppression bei stabilen Patienten nach LTX führt im Langzeitverlauf lediglich bei 20-30% der Patienten zum Erfolg. Ein gleich hoher Prozentsatz entwickelt allerdings eine akute Abstoßung während der Ausschleichphase bzw. nach komplettem Absetzen. Solange die exakten Mechanismen der Toleranzinduktion unklar sind und es nicht möglich ist, den Toleranzgrad eines Patienten zu quantifizieren, lässt sich der Erfolg einer "immunsuppressionsfreien Erhaltungstherapie" nicht vorhersagen.
Induktion | früher p.o. Verlauf | Langzeitverlauf |
---|---|---|
- Steroide (rasches Ausschleichen) - MMF, Myfortic - Simulect |
- MMF, Myfortic - Tacrolimus - Sirolimus, Everolimus |
- Tacrolimus - Sirolimus |
KM- Suppression |
CNI- Toxizität |
CMV- Infektion |
Kardio- vaskuläres Risiko |
---|---|---|---|
MMF, Myfortic absetzen |
Tacrolimus absetzen |
MMF-Reduktion Valganciclovir |
Statin Tacrolimus |
VORGEHEN AM UNIVERSITÄTSKLINIKUM TÜBINGEN (UKT)
Die kardiovaskuläre Morbidität beeinflusst das Patientenüberleben im Langzeitverlauf entscheidend. Der Schwerpunkt liegt daher auf dem raschen Ausschleichen der Steroide (Ausnahme: Autoimmunhepatitis) innerhalb der ersten 14 Tage nach dem Eingriff bis spätestens zum 3 postoperativen. Ein weiteres wesentliches Instrument zur Verringerung des kardiovaskulären Risikos ist die Stabilisierung der Nierenfunktion durch Reduktion der Tacrolimus-Dosis und Kombination mit MMF oder Sirolimus/Everolimus (Tab. 2).
Prof. Dr. Wolfgang Steurer
Universitätsklinikum Tübingen
Klinik für Allgemeine, Viszeral- und
Transplantationschirurgie
E-Mail: wolfgang.steurer@med.uni-tuebingen.de