V. MEIER1 , A. OBED2 UND G. RAMADORI1, GÖTTINGEN
MELD - Folgen für die Lebertransplantation

Während der Schweregrad einer Leberzirrhose vor Transplantation bis 2006 im Einzugsgebiet von Eurotransplant noch nach dem Child-Pugh-Score (CTP-Score) festgelegt wurde, erfolgt dies seit Dezember 2006 nach dem MELD (Model of End-stage Liver Disease)-Score. Über diesen Sachverhalt haben wir bereits vor einem Jahr berichtet.1 Die aktuelle Analyse der Daten zeigt, dass MELD nicht zu einer Verbesserung der Situation, sondern zu einer Verschlechterung der Überlebensrate geführt hat.

Der MELD-Score wurde von Malinchoc und Kollegen 2000 zur Abschätzung der Prognose nach elektivem TIPSS in den USA entwickelt.2 Ein Jahr später hat Kamath und Kollegen den MELD-Score zur Abschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit kompensierter und dekompensierter Leber evaluiert.3 Der MELD-Score soll verlässlich die 3 Monatsüberlebenszeit von Patienten mit terminaler Leberzirrhose angeben und sei somit geeignet zur Bestimmung des Schweregrades der Lebererkrankung und der Dringlichkeit einer Lebertransplantation. Aufgrund einer steigenden Nachfrage nach Spenderorganen und fehlender Spenderzahl, hat das United Netwerk for Organ Sharing (UNOS) in den USA zur Senkung der Sterblichkeit auf der Lebertransplantationswarteliste den CTP-Score im Februar 2002 durch den MELD-Score in der Allokation von Spenderlebern ersetzt.4 Der MELD-Score verfolgt das so genannte "sickest first"-Prinzip, d.h. Patienten mit den schwersten Lebererkrankungen, gemessen am MELD-Score, erhalten zuerst ein Organangebot, so dass deren Risiko, auf der Warteliste zu versterben, so gering wie möglich gehalten wird. Seit der Umstellung auf den MELD-Score sind in den USA über 400 Artikel zu diesem Thema erschienen. Das Überleben nach Transplantation hat sich nach Angaben der amerikanischen Kollegen nicht verändert5, obwohl die Zahl der kombinierten Leber-Nieren-Transplantationen deutlich angestiegen ist (Abb. 1).6 Aufgrund von Problemen mit dem alten Allokationssystem und durch die scheinbar guten Erfahrungen in den USA wurde durch Eurotransplant am 16.12.2006 der MELD-Score ebenfalls zur Allokation von Spenderlebern eingeführt.

BEDEUTUNG FÜR PATIENTEN

Abb. 1: Kombinierte Leber-Nieren-Transplantation in den USA vor und nach Einführung des MELD-Scores
Abb. 1: Kombinierte Leber-Nieren-Transplantation in den USA vor und nach Einführung des MELD-Scores

Was bedeutet dieser Wandel letztendlich für die Patienten auf der Leberwarteliste? Der MELD-Score führt zwar scheinbar zu einer Reduktion der Sterblichkeit auf der Warteliste (Daten aus den USA5), da die Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Lebererkrankung schneller transplantiert werden und somit nicht mehr auf der Warteliste sterben. Jedoch haben Patienten mit einem hohen MELD-Score (>35 Punkte) in der Regel auch eine deutlich eingeschränkte Nierenfunktion oder sind sogar dialysepflichtig. In der Literatur gab es schon vor Einführung des MELD-Scores eine Vielzahl an Publikationen, die zeigen konnten, dass die Nierenfunktion ein wichtiger prognostischer Parameter für das Überleben nach Transplantation ist7,8 und somit haben Patienten mit einem hohen MELD-Score und schlechter Nierenfunktion eine deutlich schlechtere Langzeitprognose nach erfolgreicher Lebertransplantation. In der Tat ist in den USA, wie bereits erwähnt, seit der Einführung des MELD-Scores die Zahl der kombiniert Leber- und Nierentransplantierten Patienten deutlich angestiegen (Abb. 1).6,9 Dabei war es durch eine effektive Therapie mit Albumin und einer milden Diuretika-Therapie möglich, in den meisten Fällen die Nierenfunktion bis zur Transplantation zu stabilisieren.10 Dies wurde im Zeitalter von MELD nicht mehr postuliert, weil hierdurch wiederum viele Patienten durch den MELD-Score zu gut abgebildet werden und eine Transplantation zum optimalen Zeitpunkt verzögert wird.

PROBLEME BEIM MELD

Weibliche Patienten mit einer Lebererkrankung und eingeschränkter Lebersyntheseleistung haben im Vergleich zu den männlichen Patienten eine niedrigere glomeruläre Filtrationsrate bei gleichem Kreatinin-Wert11, dies wird beim MELD-Score nicht berücksichtigt und stellt somit eine Benachteiligung für weibliche Patienten auf der Transplantationswarteliste dar.

Aktuell konnte auch noch mal durch Lisman und Kollegen gezeigt werden, dass insbesondere die INR-Bestimmung eine störanfällige Größe ist. Denn zwischen verschiedenen Laboren können die INR-Werte desselben Patienten sehr stark schwanken, so dass es in der Berechnung des MELD-Scores zu großen Schwankungen kommen kann, dieses kann zu einer Veränderung der Dringlichkeit führen.12

Abb. 2: Dargestellt ist das kumulative Überleben von Patienten mit Leberzirrhose mit und ohne Komplikationen
Abb. 2: Dargestellt ist das kumulative Überleben von Patienten mit Leberzirrhose mit und ohne Komplikationen

Beim MELD-Score werden klinische Komplikationen der Leberzirrhose wie z.B. Aszites, hepatische Enzephalopathie (HE) oder spontanbakterielle Peritonitis (SBP) nicht berücksichtigt, obwohl schon vor Einführung des MELD-Scores gezeigt wurde, dass diese Komplikationen einen deutlichen Einfluss auf das Überleben von Patienten haben (Abb. 2).13 Der MELD-Score kann trotz Hinzukommen von Komplikationen gleich bleiben, somit wird durch den MELD-Score die Schwere der Leberfunktionseinschränkung nicht richtig dargestellt und diese Patienten werden trotz einer erhöhten Sterblichkeitsrate nicht rechtzeitig transplantiert. Aktuell wird nach anderen Parametern gesucht, um Defizite des MELD-Scores auszugleichen. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass die Hyponatriämie ein wichtiger prognostischer Faktor ist und mit der Mortalität auf der Warteliste korreliert.14,15 Daher wurde versucht, das Natrium in den MELD-Score zu integrieren, um die Aussagekraft des MELD-Scores zu steigern, somit ergab sich der "MELDNa-Score". Kim und Kollegen postulieren, dass mit Hilfe dieses Scores die Sterblichkeit auf der Warteliste noch genauer vorausgesagt werden kann als mit dem klassischen MELD-Score.16 Jedoch kann eine Normalisierung des Natriums oft einfach durch eine suffiziente Albuminsubstitution erreicht werden.10

SCHLECHTERE ORGANQUALITÄT

Da nach dem MELD-Score immer mehr schwerkranke Patienten transplantiert werden und für diese die besseren Organe verwendet werden, wurden wegen der Organknappheit in den USA "erweiterte Spenderkriterien" (z.B. immer ältere Spender) definiert oder sogar zunehmend Organe von "non heart beating" Donors verwendet, um hierdurch den Spenderpool zu erweitern. Diese Erweiterung des Spenderpools hat seit Einführung des MELD-Scores zu einer Abnahme der Organqualität in den USA geführt. Hiervon sind häufig Patienten mit einem niedrigen MELD-Score betroffen, da diesen häufig schlechtere Organe zugeteilt werden, wie eine aktuelle Studie gezeigt hat.17 Diese Patienten weisen ein reduziertes Langzeitüberleben nach Transplantation auf.

FAZIT

Durch Einführung des MELD-Scores konnte die Sterblichkeit auf der Warteliste im Einzugsbereich von Eurotransplant zwar um die Hälfte gesenkt werden, dafür hat aber die Sterblichkeit im Einzugsbereich von Eurotransplant nach Transplantation zugenommen. Nach Aussage eines Vertreters von Eurotransplant auf der DTG 2008 in Bochum hat das 1 Jahresüberleben nach erfolgreicher Transplantation nach Einführung des MELD-Scores von 80% auf 70% abgenommen; ein Patient mit einem MELD-Score von über 35 hat eine Wahrscheinlichkeit von knapp 40% nach der Transplantation zu versterben; somit versterben die Patienten mit einer deutlich eingeschränkten Leber- und häufig Nierenfunktion nicht mehr auf der Warteliste, sondern nach Transplantation mit einem neuen Organ. Im Weiteren hat sich in den USA gezeigt, dass seit Einführung des MELD-Scores der Anteil an kombinierten Leber-/Nierentransplantationen deutlich gestiegen ist. Der MELD-Score berücksichtigt keine Komplikationen der Leberzirrhose (Aszites, HE, SBP), so dass viele optimale Transplantationskandidaten in diesem Score falsch abgebildet werden und nicht rechtzeitig transplantiert werden. Eine optimale Behandlung von Patienten auf der Warteliste (suffiziente Albuminsubstitution und milde diuretische Therapie) führt zu einer Stabilisierung der Nierenfunktion bis zur Transplantation, dieses ist wichtig, da die Nierenfunktion ein prognostisch wichtiger Parameter für das Langzeitüberleben nach erfolgreicher Transplantation ist. Insgesamt gelingt es durch den MELD-Score nicht, die optimalen Kandidaten für eine Transplantation aus den oben genannten Gründen zu identifizieren und zu transplantieren. Im Gegenteil, wichtige therapeutische Maßnahmen werden in der Hoffnung auf eine schnelle Transplantation zurückgestellt, daher muss dieses System noch einmal dringend überdacht werden.

1. Meier V, Lorf T, Ramadori G. Ein Jahre MELD-Score - Auswirkung auf die Lebertransplantation. Hepatitis&More, 2, 8-11 (2007).

2. Malinchoc M, Kamath PS, Gordon FD, Peine CJ, Rank J, ter Borg PC. A model to predict poor survival in patients undergoing transjugular intrahepatic portosystemic shunts. Hepatology (Baltimore, Md, 31(4), 864-871 (2000).

3. Kamath PS, Wiesner RH, Malinchoc M et al. A model to predict survival in patients with end-stage liver disease. Hepatology (Baltimore, Md, 33(2), 464-470 (2001).

4. Freeman RB, Jr., Wiesner RH, Harper A et al. The new liver allocation system: moving toward evidence-based transplantation policy. Liver Transpl, 8(9), 851-858 (2002).

5. Freeman RB, Wiesner RH, Edwards E, Harper A, Merion R, Wolfe R. Results of the first year of the new liver allocation plan. Liver Transpl, 10(1), 7-15 (2004).

6. Dube GK, Cohen DJ. Simultaneous liver and kidney transplantation. Current opinion in nephrology and hypertension, 16(6), 547-553 (2007).

7. Bilbao I, Charco R, Balsells J et al. Risk factors for acute renal failure requiring dialysis after liver transplantation. Clinical transplantation, 12(2), 123-129 (1998).

8. Nair S, Verma S, Thuluvath PJ. Pretransplant renal function predicts survival in patients undergoing orthotopic liver transplantation. Hepatology (Baltimore, Md, 35(5), 1179-1185 (2002).

9. Hameed B, Lake JR. Using higher risk organs for liver transplantation: in whom and at what price? Gastroenterology, 135(5), 1452-1454 (2008).

10. Schindler C, Ramadori G. Albumin substitution improves urinary sodium excretion and diuresis in patients with liver cirrhosis and refractory ascites. Journal of hepatology, 31(6), 1132 (1999).

11. Cholongitas E, Marelli L, Kerry A et al. Female liver transplant recipients with the same GFR as male recipients have lower MELD scores--a systematic bias. Am J Transplant, 7(3), 685-692 (2007).

12. Lisman T, van Leeuwen Y, Adelmeijer J et al. Interlaboratory variability in assessment of the model of end-stage liver disease score. Liver Int, (2008).

13. Huo TI, Lin HC, Wu JC et al. Limitation of the model for end-stage liver disease for outcome prediction in patients with cirrhosis-related complications. Clinical transplantation, 20(2), 188-194 (2006).

14 .Biggins SW, Rodriguez HJ, Bacchetti P, Bass NM, Roberts JP, Terrault NA. Serum sodium predicts mortality in patients listed for liver transplantation. Hepatology (Baltimore, Md, 41(1), 32-39 (2005).

15. Londono MC, Cardenas A, Guevara M et al. MELD score and serum sodium in the prediction of survival of patients with cirrhosis awaiting liver transplantation. Gut, 56(9), 1283-1290 (2007).

16. Kim WR, Biggins SW, Kremers WK et al. Hyponatremia and mortality among patients on the liver-transplant waiting list. The New England journal of medicine, 359(10), 1018-1026 (2008).

17. Volk ML, Lok AS, Pelletier SJ, Ubel PA, Hayward RA. Impact of the model for end-stage liver disease allocation policy on the use of high-risk organs for liver transplantation. Gastroenterology, 135(5), 1568-1574 (2008).

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